IdeenwerkBW Schwerpunkt innovative Kraftstoffe (2): Das Startup Ineratec aus Karlsruhe verwandelt flüchtige Abfallprodukte vor Ort CO2-neutral in flüssige Kraftstoffe.

Karlsruhe - Atomausstieg, Kohleausstieg, Klimawandel: Regenerative Energien werden zunehmend zum Gebot der Umwelt. Das Karlsruher Startup Ineratec widmet sich mittels Mikroverfahrenstechnik Prozessen, die flüchtige Gase oder Strom am Ort ihrer Entstehung CO2-neutral in flüssige Energieträger umwandeln.

 

„Derzeit forschen und arbeiten sehr viele an der Erzeugung regenerativer, nicht fossiler Kraftstoffe, weil es einfach ein Zukunftsthema ist“, sagt Philipp Engelkamp, einer der drei Geschäftsführer von Ineratec und ergänzt: „Das Besondere bei uns ist, dass wir schon Anlagen bauen und darüber hinaus europaweit Kunden haben, bei denen unsere Anlagen in Betrieb sind.“

Ein Container mit innovativer chemischer Reaktortechnologie

Die Anlagen, von denen Engelkamp spricht, haben die Größe handelsüblicher Container, deren Innenleben mit innovativer chemischer Reaktortechnologie en miniature bestückt ist. „Mit dieser Technologie wandeln wir Gase wie Kohlendioxid oder Methan in speicherbare flüssige, teils auch feste Wertprodukte um“, so seine Kollegen Tim Böltken und Paolo Piermartini, die am Karlsruher Institut für Technologie, KIT, das Verfahren gemeinsam zur Marktreife brachten.

Erste Entwicklungen an der dazu notwendigen Technologieplattform gibt es am Institut für Mikroverfahrenstechnik am KIT seit knapp 20 Jahren. Die Prozesse, die bisher in großen chemischen Anlagen abliefen, finden nun in einer innovativen Miniaturfabrik statt – eben in Containern. Das Verfahren ist somit mobil, kommt zum Abfall, anstatt dass der gasförmige Abfall zu einer Anlage transportiert werden müsste.

Platz ist neben jedem Windrad

„Eine große chemische Fabrik neben einem Windrad ist nicht sinnvoll. Ein Windrad und daneben ein Zwölf-Meter Container dagegen passen zusammen“, charakterisiert Engelkamp dezentralen Einsatz.

‚Power to Liquid‘, Power-to-Gas und ‘Gas to Liquid’ sind die drei Verfahren, die das Gründertrio mit seiner Technologieplattform auf kleinem Raum variabel darstellen kann. Die Verfahren selbst sind „uralt“, so Engelkamp. Neu ist, dass man das Verfahren regenerativ betreibt. Hinzu kommt bei Ineratec vor allem die Mikrotechnologie, die Böltken und Piermartini mitentwickelt haben.

„Wir bieten unseren Kunden verschiedene Prozesse an, die wir als Anlagen in Containern verkaufen“, unterstreichen die Karlsruher. Ein Kunde betreibt beispielsweise ein Wasserkraftwerk. Mit einer zusätzlichen CO2-Quelle, etwa einer Biogasanlage gar CO2 aus der Luft, kann daraus vor Ort Kraftstoff entstehen. Je nachdem, welches Verfahren der Kunde anwenden möchte, baut Ineratec verschiedene chemische Reaktoren in den Container. Die fertig montierte modulare Technologieplattform im Container funktioniert wie ein Baukastenprinzip. Dadurch lässt sich auch die Kapazität nach Bedarf erweitern, indem einfach mehrere Container gekauft werden.

Ineratec kooperiert vom Energieversorger bis zum Recyclingunternehmen

„Wir arbeiten mit vielen unterschiedlichen Branchen zusammen, etwa mit Energieversorgern oder Firmen, die sich mit Abfallrecycling befassen, genauso mit der Mobilitätsindustrie.“ CO2 und damit Kohlenstoff, so Engelkamp lapidar, komme überall vor – beispielsweise in Brauereien, in Zementwerken, Papierfabriken oder Biogasanlagen.

Chemische Anlagen wie Autos zu fertigen, das ist die Vision von Ineratec. „Es geht nicht darum, eine chemische Anlage zu bauen, sondern fünftausend oder fünfzigtausend.“

Eine große Zahl an Containern ist der Schlüssel zur Leistungsfähigkeit

Ein Container hat naturgemäß eine relativ geringe Kapazität. Warum also funktioniert das Verfahren? Größe sei weniger wichtige als die Quantität, heißt es bei Ineratec. Was das bedeutet, beschreibt Engelkamp mit einem Vergleich aus der Landwirtschaft, wo Milch dezentral hergestellt wird. „Ich habe noch nie eine Kuh gesehen, die 100 000 Liter produziert. Sie produziert maximal 40 Liter. Dennoch werden insgesamt gigantische Mengen Milch weltweit im Supermarkt angeboten.“ Die Preise dafür seien mit denen von Kraftstoff absolut vergleichbar.

Nur beim Kraftstoff denke man bisher, die Produktion müsse zentral in einer Anlage stattfinden. „Das halten wir für Unsinn. Die erneuerbare Kraftstoffindustrie kann genauso dezentral funktionieren“, ist man bei Ineratec überzeugt. Im Gegensatz zu Milch habe Kraftstoff zudem kein Verfallsdatum und wenn der Tank des Lkw, der den Kraftstoff transportiert, auch noch mit E-Fuels betankt ist, dann ist auch der CO2-neutral unterwegs.“

Ineratec geht dorthin, wo die Rohstoffe sind

Die kleinen Container können dort aufgestellt werden, wo die Rohstoffe günstig sind. „Sie müssen nicht zig Kilometer zurücklegen, um die Rohstoffe zu bekommen. Sie brauchen keine große Infrastruktur mit Leitungen, um eine Großanlage zu bauen, sondern Sie stellen den Container einfach neben das Windrad oder an die CO2 Quelle“, fasst Engelkamp zusammen.

Um die Zukunft machen sich die Jungunternehmer absolut keine Gedanken. „Diese Kohlenwasserstoffe kann man auch verwenden, um chemische Grundstoffe herzustellen, die derzeit fossil sind.“ Die Karlsruher Gründer möchten beweisen, dass Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit gleichzeitig möglich sind.

Ineratec – Startup mit Wurzeln am KIT in Karlsruhe

Seit dem Jahr 2010 befassten sich der damalige Doktorand Tim Böltken und der Postdoc Paolo Piermartini mit der chemischen Reaktortechnologie in Containergröße – am Institut für Mikroverfahrenstechnik und unter Peter Pfeifer als Leiter der Gas- und Mehrphasenkatalyse. Vier Jahre später verstärkte der Wirtschaftsingenieur Philipp Engelkamp das Team. Alle drei hatten in Form von Praktika Erfahrungen bei großen Chemiekonzernen gesammelt und beschlossen, „ihr eigenes Ding zu machen“, was bei Böltken und Piermartini in den Bau einer Pilotanlage mündete.

Ihre Idee, die Komponenten so kompakt wie möglich zu bauen, wurde zunächst vom Land Baden-Württemberg mit dem Programm ‚Junge Innovatoren‘ unterstützt, dann vom Bund über ‚Exist Forschungstransfer‘, wodurch eine Ausgründung aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) vorgezeichnet war. Kaum hatten wir die Exist Förderung erhalten, stand mit dem technischen Forschungszentrum VTT Finnland schon der erste Kunde vor der Tür. Wir mussten also super schnell gründen“, sagt Philipp Engelkamp. Gründungsdatum war im Mai 2016. Seither geht es Schlag auf Schlag. Neben Audi zählen Unternehmen in aller Welt zu den Kunden. Für ihr Verfahren erhielten sie im September den Deutschen Gründerpreis. Zurzeit haben sie 30 Mitarbeiter, davon 21 fest angestellt.