Schwerpunkt Gründerland Baden-Württemberg (2): Die Essert GmbH aus Ubstadt-Weiher bietet Datenbrillen und Roboter an, die auch für kleinere Unternehmen attraktiv sind. Aber wer schnell wächst, kann das Umfeld manchmal überfordern.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Bruchsal - Wenn Christopher Essert zu einer Präsentation einlädt, dann muss er einen gleich in die Illegalität lotsen. Denn sein 2011 bezogener Firmensitz in Ubstadt-Weiher bei Bruchsal platzt aus allen Nähten und der Präsentationsraum befindet sich zurzeit provisorisch im Container. Seitdem die 2009 zunächst als Ein-Mann-Unternehmen gegründete Firma sich 2014 auf Datenbrillen und preisgünstige Roboter konzentriert, ist das Wachstum explodiert. „Das Landratsamt hat uns mit Zwangsräumung gedroht“, sagt Essert. Das Aufstellen von temporären Bürocontainern auf der Grundstücksgrenze war unzulässig. Da ist es egal, dass der Grundstücksnachbar ein Freund von Essert ist und klar zu Protokoll gegeben hat, es störe ihn nicht.

 

Da ist es im Übrigen auch gleichgültig, dass das neue Quartier für die Firma schon in Bau ist und die Container bald überflüssig werden. Vorschrift ist Vorschrift. Esserts Trost: Er wird vermutlich schneller sein als die Bürokratie. Bis das Räumungskommando kommt, ist seine Firma wohl längst umgezogen.

Essert passt nicht ins gewohnte Raster

„Es ist nicht leicht, unser Wachstum zu managen“, sagt Essert, der schon als 21-Jähriger gegründet hat und nun mit 28 Jahren ein vielversprechendes Startup führt. Der Mechatroniker, der als Anlagenexperte bei einem Druckmaschinenhersteller begann, hatte die Praxiserfahrung und den richtigen Riecher, um Robotertechnik und virtuelle Realität so handhabbar zu machen, dass sie auch für kleinere und mittelständische Betriebe attraktiv ist.

Essert bietet eine App an, die es ermöglicht, dass ein Experte überall auf der Welt einen mit der Essert-Datenbrille ausgestatteten Monteur live bei der Arbeit beobachten und beraten kann. Auch die Robotertechnik von Essert kostet teilweise nur einen Bruchteil bisheriger Maschinen. Eine Schulung von einer halben Stunde genügt – und ein in Dänemark gefertigter und von Essert programmierter Roboter kann die Arbeit aufnehmen.

Essert tummelt sich auf einem Markt mit enormen Wachstumschancen. Und so viel Dynamik ist auf dem Land ungewohnt – und bringt die Bürokratie nicht nur beim Thema Container zum Ächzen. Als er sich für den Bau seiner neuen, auf viermal so viele Mitarbeiter wie heute ausgelegten Unternehmenszentrale um Fördergelder zur Entwicklung des ländlichen Raums bewarb, fiel er durchs Raster. Das Geld bekam ein örtlicher Heizungsbauer, weil der seinen Betrieb bisher im Ortskern hat und von dort ins Gewerbegebiet umzieht. „Der bekam 200 000 Euro geschenkt. Und wir mit neuer Technologie, mit unserem hohen Risiko, ganz aus laufenden Einnahmen finanziert – wir gingen leer aus“, sagt Essert. Über den ihm gegebenen Rat, doch abzuwarten und im Nachrückverfahren an das Geld zu kommen, kann er nur lachen. „Wir wachsen doch so schnell. Ein Jahr ist eine Ewigkeit!“

Das dritte Stockwerk gibt es erst im zweiten Anlauf

Der nächste Hindernislauf bei dem zwei Millionen Euro teuren Gebäude folgte sogleich. Im Gewerbegebiet darf man bisher nur zwei Stockwerke hoch bauen. Doch Essert braucht drei. „Ich musste aber schnell bauen. Jetzt habe ich erst mal zweistöckig gebaut, dann einen Antrag auf Sondergenehmigung gestellt“, sagt er. Bis nämlich der Gemeinderat über eine solche Änderung beschließen konnte, vergehen Monate. „Nächstes Jahr im Sommer werden wir das Dach wieder runter machen, ein Stockwerk draufsetzen, dann kommt das Dach wieder drauf“, sagt er. „Auf den Extrakosten bleibe ich sitzen.“

Essert, der in der Region fest verwurzelt ist, hat sich bewusst für eine Hightech-Gründung in der Provinz entschieden – und will hier auch bleiben: „Eine Stadt ist nichts für mich. Ich will direkt vor dem Büro parken können und durch die Tür spazieren.“ Qualifizierte Fachkräfte bekommt er dennoch. Ihm hilft, dass im nahem Umkreis der Weltkonzern SAP seine Zentrale hat. Und da gibt es genügend IT-Spezialisten, die das Arbeiten in einem Großkonzern satthaben.

Gründer auf dem Land müssen sich durchbeißen

Aber Gründen auf dem Land heißt auch, in einem Umfeld zu leben, das Firmen wie die Essert GmbH nicht gewohnt ist. „Richtig geholfen hat uns eigentlich niemand“, sagt der Gründer. Das Unternehmen hat er von Anfang an selbst finanziert, Schulden hat er keine – und bisher hat er auch keinen Investor im Boot, auch wenn sich Letzteres wohl bald ändern dürfte. Kein Startup-Netzwerk, keine Mentoren standen ihm anfangs zur Seite. „Als ich mein Unternehmen vor Investoren vorgestellt habe, wusste ich anfangs nicht, was die überhaupt brauchen“, sagt er. Finanzierung, Marketing, Expansion – vieles davon musste sich der Gründer erst selbst beibringen. „Es wäre hilfreich gewesen, wenn es für mich eine Anlaufstelle gegeben hätte“, sagt er heute. Solche Stellen gibt es in Baden-Württemberg – aber sie sind in den Metropolen.

Unternehmenssteckbrief Essert GmbH

Die Essert GmbH mit Sitz im badischen Ubstadt-Weiher wurde im Oktober 2009 gegründet. Das Unternehmen ist im Bereich der industriellen Automatisierung tätig, mit den Schwerpunkten Elektrotechnik, Antriebstechnik, Robotertechnik, Softwareerstellung und -entwicklung. Das Unternehmen entwickelt Lösungen für die Industrie 4.0 und will dem Mittelstand bei der digitalen Transformation helfen.

Seit 2013 ist das Unternehmen jedes Jahr um 40 bis 55 Prozent gewachsen. Die Zahl der Mitarbeiter ist von zehn vor drei Jahren auf heute 48 gestiegen und dürfte sich 2017 erneut fast verdoppeln. Ein im Bau befindliches neues Gebäude ist auf eine Vervierfachung der Beschäftigtenzahl ausgelegt. Das Unternehmen wurde 2016 im Rahmen des Landespreises für junge Unternehmen als einer der besten zehn Teilnehmer geehrt.