Die Startup-Kultur in Heilbronn profitiert davon, dass es eine solide Basis an Risikokapitalgebern gibt, zu denen auch der milliardenschwere Lidl-Gründer gehört. Die Stadt arbeitet sich systematisch auf die Startup-Landkarte vor.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Heilbronn - Startups brauchen keine Hochglanzbüros. Das Wollhaus, ein Betonbunker in der Heilbronner Innenstadt, kann als markantes Objekt des „Brutalismus“ der Siebzigerjahre durchgehen. Für Adrian Stabiszewski vom Coworking-Space Heilbronn ist das Gebäude, das wegen Fassadenschäden eingerüstet ist, ein Glücksfall.

 

Die auf Startups und Freiberufler zugeschnittenen Büros liegen im Stockwerk einer ehemaligen Arztpraxis. Die Türen sind noch mit „Sprechzimmer“ und „Röntgen“ beschriftet. Während die Langfristmieter wegen der unsicheren Aussichten des vom Abbruch bedrohten Gebäudes ausziehen, profitiert der Coworking-Space von günstigen Mieten. Seit Kurzem ist eine ehemalige Anwaltskanzlei im Stockwerk darüber hinzugekommen. „Heilbronn ist als Startup-Standort noch eine grüne Wiese“, sagt Stabiszewski, der auch eine Hochzeitsapp namens Weddian vertreibt: „Wir wollen die Szene hier mit aufbauen.“

Startup-Kultur in Heilbronn: Was es noch nicht gibt, baut man auf

Gründer wie Philipp Schreiber, der unter dem Namen KRUU sogenannte Fotoboxen für Hochzeiten und andere Events vermietet, sehen den Standort und die Startup-Kultur in Heilbronn pragmatisch: „Wenn es hier etwas noch nicht gibt, dann macht man es halt selber.“ Im benachbarten Neckarsulm arbeitet er aus einem Hinterhof heraus. Als er anfing, gab es den Coworking-Space noch nicht: „Das wäre für uns optimal gewesen. Aber das wird ja zum Glück gerade aufgebaut.“

Heilbronn ist im Zweiten Weltkrieg stark zerstört worden. Es hat lange gedauert, bis die Wunden verheilten. Die Nachkriegsarchitektur entlang der Fußgängerzone hat herben Charme. Wirtschaftskraft und Jobs, die es etwa rund um die Autoindustrie gibt, machen aus einer Stadt noch keinen Anziehungspunkt für innovativ denkende Menschen.

Doch ein neuer, ins Zentrum verlegter Hochschulcampus, der Gebäude einer bisher an der Peripherie gelegenen staatlichen Hochschule mit privaten Studienanbietern zusammenbringt, hat inzwischen 10 000 Studenten in die Innenstadt geholt. Im Stadtbild ist das zu spüren: Restaurants und Kneipen sind sichtlich belebt. Auch die Bundesgartenschau 2019 soll Aufbruchstimmung schaffen. Ein weiteres Vorzeigeprojekt rund um das Thema Innovation liegt dem Gartenschaugelände am Neckar direkt gegenüber.

Modernes Startup-Areal am Gartenschaugelände

„Wohlgelegen“ heißt das Areal, in dem sich an einem neuen Gebäudekomplex die Firmenschilder von Startups und innovativen Unternehmen insbesondere aus dem Bereich der Medizin- und Biotechnologie aneinanderreihen. Vorbildlich energiesparende Architektur oder etwa eine moderne Cafeteria in einem zentralen Bürogebäude haben in der einstigen Industrie-Brache ein Innovations-Ökosystem etabliert. Was erst ein Logistikzentrum, dann der Standort eines Autozulieferers werden sollte, ist nun ein Vorzeigeprojekt für innovative, junge Firmen geworden. Möglich machte dies die systematische Standortpolitik eines privaten Heilbronner Risikokapitalgebers. „Dass wir hier sind, das liegt ganz klar am Zukunftsfonds,“ sagt Firmenchef Martin Blüggel von der ursprünglich in Tübingen basierten Firma Protagen Protein Services (PPS), die Analysen von biotechnologisch erzeugten Medikamenten anbietet. Wenn der Zukunftsfonds Heilbronn (ZFHN) investiert, ist ein Firmensitz in Heilbronn Pflicht. Man lockt im „Wohlgelegen“ aber auch mit einem für die Arbeit wichtigen Reinraum – und mit der Nähe anderer innovativer Firmen.

400 hochqualifizierte Arbeitsplätze in einer in der Region zuvor wenig vertretenen Zukunftsbranche wurden so geschaffen. „Mitarbeiter hierher zu bringen, ist aber für uns weiterhin ein Thema. Da muss die Region noch aufholen“, sagt Blüggel.

Der größte Investor ist Lokalpatriot

Hinter der Investitionspolitik des Zukunftsfonds steckt ein Lokalpatriot, der lange sehr diskret agierte – der Lidl-Gründer Dieter Schwarz. „Es bedeutet schon eine große Weitsicht, auf eine Zukunftsbranche zu setzen, die es hier in der Region zuvor noch gar nicht gab“, sagt Thomas Villinger, Chef des Zukunftsfonds. Es sei nicht immer einfach gewesen, Gründer vom Umzug nach Heilbronn zu überzeugen: „Man ist in Heilbronn aber nachhaltig, ja fast ein bisschen stur. Wenn man sich ein Ziel gesetzt hat, verfolgt man es konsequent.“

Als der Zukunftsfonds Ende des vergangenen Jahres das von ihm hochgezogene Heilbronner Unternehmen Xenios an den Medizinkonzern Fresenius Medical Care verkaufte, machte der Standort einen Sprung nach vorn. Das einstige Startup, das sich auf Lungen- und Herzdialyse spezialisiert hat, dürfte in den kommenden Jahren im Gebiet „Wohlgelegen“ stark expandieren. Villinger betont, dass der Risikokapitalfonds nicht allein stehe. Bevor er zum Zukunftsfonds ging, leitete er die Innovationsfabrik Heilbronn, eine andere Keimzelle des Gründerstandorts.

Heilbronn hat eine Innovationsfabrik als Keimzelle

Hier baute die Stadt nach der Jahrtausendwende das Gelände einer Maschinenfabrik zu einem Gründerzentrum aus. Die Kräne sind im Gebäude noch zu sehen. Doch darum herum hat sich ein Startup-Biotop etabliert. „Wir bieten die Räume günstig an. Für Startups geht die Miete erst allmählich hoch und wir wollen auch einen Coworking Space ausbauen“, sagt Stefan Ernesti, Leiter der Heilbronner Wirtschaftsförderung. Auch etablierte Firmen aus der Region wie der IT-Dienstleister Bechtle nutzen die Innovationsfabrik für eigene Startups. Das Venture Forum Neckar, ein Risikokapital-Netzwerk für Unternehmer aus der Region, ist in dem Areal ebenfalls zu Hause. Es ist, wie man stolz betont, allein privat finanziert, was ungewöhnlich ist.

Verwaltet wird die Innovationsfabrik von der Stadtsiedlung, der Immobilientochter der Stadt. Heilbronn hat dieses Unternehmen nicht wie andere Kommunen privatisiert und hat damit ein Werkzeug zur Standortentwicklung und Startup-Kultur in Heilbronn in der Hand. Die Stadtsiedlung kann nämlich flexibler agieren als eine Behörde.

Bernd Billek, der Chef der Stadtsiedlung, achtet bei der Belegung auf den richtigen Mix. „Ich kann frei entscheiden, wer hier hereinpasst“, sagt er. Und das bedeutet auch einmal, einem flügge gewordenen Startup zu kündigen. Aus der Obhut der Stadtsiedlung braucht es dann trotzdem nicht herauszufallen. Im neuen Gebiet „Wohlgelegen“ kann Billek nahtlos eine Alternative bieten.