Die PTV Group aus Karlsruhe ist Softwarespezialist für die Verkehrsoptimierung zu Lande, zu Wasser und in der Luft und sieht sich auch nach 40 Jahren als Startup im Geiste.

Karlsruhe - Auf Deutschlands Straßen geht allzu oft gar nichts mehr. Stillstand statt Mobilität bedeutet entnervte Autofahrer, egal ob das Fahrzeug zunehmend zum rollenden Büro wird und vorgaukeln soll, so lasse sich die Zeit bis zum Ziel im (teil)autonomen Modus effizient nutzen. Tatsache bleibt, die Menschen wollen möglichst ungehindert, bequem und komfortabel von A nach B gelangen. Umso mehr, wenn Intermodalität, also das Nutzen verschiedener Transportmittel zu Wasser, zu Lande und in der Luft, im Spiel ist. Dafür, dass alles im Fluss bleibt, bestenfalls wie am Schnürchen läuft, entwickelt die PTV seit 40 Jahren intelligente Softwareprogramme. Das Kürzel steht für Planung, Transport und Verkehr.

 

Angenommen eine Stadt möchte ihre Verkehrsführung ändern, plant zusätzliche Radwege und Fußgängerzonen, strukturiert Straßenverläufe um, plant einen Parkplatz unter die Erde zu verlegen und drüber einen Park und Gastronomie. Mit solchen Ideen wendet sich nun der Oberbürgermeister mit seinem Team an die PTV. Die kann aufgrund ihrer gesammelten Daten die Verkehrsflüsse von Fußgängern und Fahrzeugen berechnen und Empfehlungen aussprechen. Es können vorab Szenarien durchgespielt werden, weil die Software vorhersehen kann, welche neuen Knotenpunkte potenziell entstehen können, wie man sie entschärfen kann. Dies kann in großem Stil vorab simuliert werden, bevor es an die Umstrukturierung einer Stadt oder eines Stadtteils geht.

PTV verspricht einen nahtlosen Verkehrsfluss

„Wir planen und optimieren weltweit alles, was Güter und Menschen bewegt,“ sagt der PTV-Chef Vincent Kobesen. Früher habe man mit dem Tiefbauamt geredet, um irgendein Verkehrsmodell zu bauen, sagt der Manager: „Heute sprechen wir mit dem Oberbürgermeister.“

„Nahtlos“ heißt das Zauberwort, das sie mit ihren Modellen, Algorithmen, wissenschaftlichen Verfahren und neuen Simulationen erreichen wollen, also nahtlose Mobilität für alle: Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer, Güterverkehr. Zu ihren Projekten gehört die Verkehrsplanung für die Stadt vom Reißbrett in Saudi Arabien genauso wie das umfangreiche Mobilitätsprojekt für Megacitys wie Peking oder kleine und mittelgroße Städte in Europa bis hin zur Verkehrsplanung auf dem Land.

„Die PTV beschäftigt sich genau mit den Trends, welche für Städte und auch die Automobilbranche entscheidend sind“, sagt Philipp von Hagen, Vorstand bei der Porsche Automobil Holding SE – und begründet die Akquise des Software-Unternehmens im Sommer vor zwei Jahren. Doch lange hatte Porsche SE das Weltunternehmen aus dem nahen Karlsruhe nicht auf dem Radarschirm. „Wir sind Weltmarktführer, und dann kommt lange nichts“, sagt Vorstand Vincent Kobesen selbstbewusst, wohl wissend, dass nur Insider den Hidden Champion kennen.

Porsche SE musste den heimlichen Weltmarktführer erst finden

Mehr als hundert Unternehmen scannt die Porsche SE Jahr für Jahr, um zu prüfen, inwieweit sich eine Beteiligung oder ein Kauf empfiehlt. Die börsennotierte Holding hält mit 53,1 Prozent die Mehrheit der Stammaktien am Volkswagen Konzern und sucht seit 2012 strategische Beteiligungen an Unternehmen aus dem Automobilbereich. „Die Porsche SE war bei ihrem Scouting vor allem am Thema Digitalisierung von Transport interessiert. Sie haben verstanden, dass es in Zukunft nicht nur darum geht, Autos zu bauen, sondern zunehmend darum, wie man diese Fahrzeuge einsetzt. Und dabei geht es immer mehr in Richtung Mobilität auf Abruf – mobility on demand“, sagt CEO Kobesen.

„Die Porsche SE Spezialisten kamen zu uns und berichteten von Firmen mit überzeugender Software. ‚Ja, diese Software stammt von uns. Es sind unsere Kunden‘, war unsere Antwort“, sagt der Holländer schmunzelnd.

Die eigene Consulting Tochter hat die PTV Group vor fünf Jahren ausgegründet als PTV Transport Consult GmbH. Sie arbeitet auch mit der MHP, Tochter der Porsche AG, gemeinsam an Projekten. Regional arbeitet die PTV derzeit beispielsweise mit der Stadt Ludwigsburg und der Porsche AG zusammen.

Automobilbauer interessieren sich verstärkt für Verkehrsfluss

Schnell war klar, dass die beiden Weltmarktführer, Automobilbau und digitale Verkehrsoptimierung, zusammen passen. Die Porsche SE kaufte die Anteile von den Inhabern – denn es war bis dato ein inhabergeführtes Unternehmen – für 300 Millionen Euro. „Die Inhaber waren der Auffassung, ihr Unternehmen müsse irgendwann in gute Hände kommen und waren von der Porsche SE als idealem Partner überzeugt“, sagt Kobesen. Klar, die meisten dächten dabei an den Sportwagenhersteller. Doch die Porsche SE stehe für Investitionen und die Porsche AG für Automobilbau. Das sei in Ländern wie China nicht immer leicht zu erklären.

„Was uns sehr gut gefallen hat, ist die Unabhängigkeit, die wir in unserem täglichen Geschäft behalten. Denn die Porsche SE ist eine Holding“, kommentiert Kobesen die Übernahme unter das Dach der Porsche SE. Das bedeutet, dass die PTV Group als unabhängige Firma weitergeführt wird und genauso mit Daimler, BMW und anderen arbeiten kann. Viele ihrer Kunden wüssten auch gar nicht, dass die PTV AG übernommen wurde. Man gehe damit nicht hausieren, verstecke es aber auch nicht.

„Die Porsche SE ist ein zuverlässiger Gesellschafter, der bereit ist, in uns zu investieren.“ Mit den Stuttgartern als Eigentümer habe man alle Möglichkeiten. „Die PTV Group verfügt über ein bewährtes, profitables Geschäftsmodell. Wir sehen im Bereich der Optimierung von Personen- und Warenströmen ein großes Wachstumspotenzial“, sagt von Hagen. Die Gewinner-Technologie von heute ist dabei nicht garantiert die Gewinner-Technologie von morgen.

40 Jahre alt – und immer noch Startup-Geist

Auch wenn man 40 Jahre alt sei, ticke man immer noch wie ein Start-up, sagt Kobesen über sein Unternehmen. Wer die imposante Firmenzentrale in Karlsruhe in Nachbarschaft zum KIT betritt, atmet im Campus mit seinen Arbeitsinseln diese Start-up-Atmosphäre. Eine edle Start-up Atmosphäre freilich. Denn es mangelt an nichts. Anstelle des klischeehaften Tischkickers lockt im Erdgeschoss ein Fitness-Studio. Selbstverständlich kostenlos und mehrmals pro Woche inklusive professionellem Fitness-Trainer.

Die großzügige Campus-Atmosphäre samt eigenem einer Verkehrsleitzentrale nachempfundenen Mobilitätslabor wurde schon vor dem Einstieg des neuen Eigentümers, der Porsche SE, umgesetzt. Gespeist wird die Demonstrationszentrale mit aktuellen Verkehrsdaten aus Karlsruhe, um potenziellen Kunden konkret vor Augen führen zu können, was die letztlich abstrakte PTV Software zu leisten vermag.

Die Frage ist auch, wie Städte sich weiterentwickeln. „Die Oberbürgermeister wollen lebenswerte Städte kreieren für ihre Bürger, und dafür werden manche mit mehr Regulierungen arbeiten als andere“, sagt der PTV Geschäftsführer. „Es sind spannende Änderungen mit noch mehr Integration zwischen Transport, Logistik und Verkehr, mehr Mobilität auf Abruf – auch im öffentlichen Nahverkehr.“ Starre Fahrpläne seien passé: „Die Leute wollen am liebsten auch nicht mehr an eine Haltestelle gehen, sondern da aufgenommen werden, wo sie leben oder arbeiten. Da können wir noch viel tun.“

Die Geschichte von PTV

Vor vierzig Jahren gründen zwei Studenten der Technischen Universität Karlsruhe (TU) als Ableger der TU die PTV GmbH im Hinterhof eines Hauses. Zehn Jahre später entdeckte Vincent Kobesen, der heutige Vorstand, über sein damaliges Consultingbüro in Holland die Softwarefirma und gründete mit Ordis, dem heutigen PTV Nederland, einen Ableger. Wieder eine Dekade später wandelte sich die PTV, die immer internationaler wurde, zur AG und machte Kobesen automatisch zum Teil der inhabergeführten „PTV Familie“, wie der 57 Jahre alte Holländer zu sagen pflegt.

Im Jahr 2008 schließlich kam der studierte Betriebswissenschaftler zu PTV nach Deutschland und war seitdem Mitglied des Vorstands. Als drei Jahre später der letzte Gründer ausschied, übernahm Kobesen die alleinige Führung und treibt die weitere Internationalisierung des IT-Dienstleisters seither noch vehementer voran.

Nach dem anfänglichen Erwerb von 97 Prozent der Anteile an PTV ist das Software Unternehmen inzwischen vollständig im Besitz der Porsche Automobil Holding SE. Außer der Beteiligung an der Volkswagen AG mit derzeit 30,9 Prozent des Kapitals ist die PTV AG die zweitgrößte Anlage der Holding in Stuttgart. Dazu sagt Philipp von Hagen, Vorstand Beteiligungsmanagement der Porsche SE. Als langfristig orientierter Investor unterstütze man die PTV in ihrer Entwicklung vom reinen Softwareanbieter zum Plattformanbieter. „Hier sehen wir großes Potenzial. Somit investiert die Porsche SE in das Mobilitätsmanagement der Zukunft, das auch für einen Automobilhersteller wie den Volkswagen Konzern immer relevanter wird.“