Brexit hin oder her: Bei den Themen Innovation und Startups funktioniert das Europa von unten tatsächlich. Gastautor Martin Allmendinger berichtet über die größte europäische Innovationskonferenz ISPIM 2016 im portugiesischen Porto.

Stuttgart - Einmal im Jahr kommen die Mitglieder der „ISPIM Community“ zur namensgleichen Konferenz zusammen. ISPIM steht für „International Society for Professional Innovation Management“ und geht auf eine Initiative aus dem Jahr 1973 zurück. Seitdem ist das Projekt stark gewachsen und wurde über die Jahrzehnte sukzessive ausgebaut, mit dem Ziel allen Innovationsinteressierten weltweit eine Austauschplattform auf europäischem Boden zu bieten und diese miteinander zu vernetzen.

 

Das Besondere an der Community ist, dass sie nicht nur aus einer hohen Zahl an Wissenschaftlern besteht, sondern inzwischen auch aus Lehrenden, Managern, Beratern und Mitarbeitern der öffentlichen Hand. Sie kommen zusammen, um von ihren praktischen Erfahrungen zu berichten, ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren oder sich einfach inspirieren zu lassen.

Zur 27. ISPIM wurde zum zweiten Mal nach 2005 nach Porto eingeladen. Über 400 Teilnehmer sind dieser Einladung gefolgt. Ein kurzer Blick in die Teilnehmerliste reicht, um festzustellen, wie bunt die größte wissenschaftliche Innovationskonferenz in Europa wirklich ist. In diesem Jahr sind Teilnehmer aus 40 verschiedenen Ländern vertreten. Dabei machen dieses Jahr die Deutschen mit 67 (15 aus Baden-Württemberg) und die Finnen mit 38 Teilnehmern den mit Abstand größten Teil aus. Jedoch sind auch 73 außereuropäische Interessierte unter anderem aus den USA, Taiwan, Brasilien, Neuseeland, Russland und Südafrika angereist.

Die ISPIM fördert europäische Diskussionen

Das Programm, das an den drei Tagen ausschließlich durch die Teilnehmer selbst gestaltet wird, bietet Diskussionsrunden und knapp 200 Vorträge zu innovationsnahen Themen mit einem besonderen Schwerpunkt auf Innovationsmanagement, Offene Innovation (Open Innovation), neue Geschäftsmodelle und schlanke Innovation.

Wie vielseitig die Themen dann im Detail werden können, merkt man bereits bei den Keynotes: Den Anfang macht der Deutsche Fabian Schlage, Innovationschef bei Nokia, und präsentiert die Vision eines drohnengestützten Überwachungssystems, das in den Vereinigten Arabischen Emiraten demnächst getestet werden soll. Den Kommentar „dort sind die Regularien vergleichsweise gering, um solche Dinge einfach mal auszuprobieren“ kann er sich nicht verkneifen.

Praxis und Wissenschaft treffen ständig aufeinander. So geht es einerseits um aktuelle Trends wie das Internet der Dinge, intelligente Städte, Digitalisierung in der Finanzbranche, die Anforderungen zukünftiger Arbeit, innovationsfördernde Methoden wie Storytelling oder Design Thinking. Andererseits geht es auch um Innovationskulturen und innovationsfördernde Persönlichkeiten. Das Thema ist die Verankerung von Unternehmergeist an den Hochschulen und die Vermittlung von Innovation in der Lehre.

Ein Professor aus Singapur berichtet, dass man nur lehren kann, wenn man selber bereit ist, auch unterschiedliche Erfahrungen machen zu wollen, weshalb er neben seiner akademischen Funktion gleichzeitig auch als Business Angel agiert. Ein Professor aus Ungarn möchte ein möglichst nachhaltiges Mentorensystem für „seine“ Gründer aufbauen, da er mit Managern aus großen Unternehmen bisher keine gute Erfahrung gemacht hat, da sie diesen Engagements in der Regel keine hohe Priorität einräumen. Eine Professorin aus Litauen berichtet, dass Startups an ihrer Universität zu viel Zeit damit verlieren den richtigen Markt zu finden. Sie würde sich eine europäische Vermittlungsplattform wünschen. Die Herausforderungen sind also nicht national, sondern überall in Europa ähnlich.

Ausgerechnet die Finnen fragen nach dem Humor

Bei den Vorträgen am Nachmittag geht es dann weiter ins Detail. Ein Forschungsteam aus Finnland präsentiert seine Ergebnisse. Es hat untersucht, wie vier verschiedene Arten des Humors auf das Innovationsverhalten und das Innovationsergebnis wirken können. Das ist originell. Am Ende wird das Autorenteam durch die ISPIM-Jury prämiert.

Gleiches gilt für ein dreiköpfiges Doktorandenteam aus Erlangen-Nürnberg, das für seine qualitative Studie mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet wird. Das Team hatte analysiert, wie Industrie 4.0 die Geschäftsmodelle in fünf fertigenden Industrien in Deutschland verändert und dafür 69 Interviews geführt. Auch für praktische Erfahrungen gibt es Raum.

Ein Innovationsmanager der Deutschen Bank berichtet selbstbewusst wie in seiner Organisation durch einen „Appathon“ -also einem Hackathon-Wettbewerb rund um das Thema Apps – der Knoten geplatzt ist und nun mehr Mitarbeiter wie Unternehmer denken. Der IT-Chef von Lufthansa-Systems berichtet, bewusst ohne Nutzung von PowerPoint, von den bisherigen Erfahrungen der Einführung eines „demokratischen“ Crowdfundingsystems für Mitarbeiter zur Ideenförderung und –entwicklung.

Noch beschnuppern sich die Kulturen

Für viele Mitarbeiter etablierter Unternehmen geht es in Porto um Inspiration. Ein leitender Forschungsmanager des Pharmaunternehmens Sanofi-Aventis, der früher den bundesweiten Wettbewerb Science4Life als Projektleiter betreut hat, ist zum zweiten Mal auf der der Konferenz. Er möchte mehr über das Thema Geschäftsmodelle aus erster Hand erfahren. Ein anderer Manager des IT-Riesen SAP, der seit zwei Jahren ein internes Innovationszentrum bei SAP mit aufbaut, betont die Notwendigkeit und Bedeutung der richtigen internen Kommunikation und sagt, wie wichtig die Rückendeckung des Spitzenmanagements ist.

Er sucht derzeit Masterstudierende des Kommunikationsmanagements in Baden-Württemberg, die gleichzeitig Lust auf Geschäftsmodelle haben. Gelegentlich fällt allerdings auf, wie groß die Gräben speziell beim Thema Innovation schon einmal sein können. Es scheint, als müsse Wissenschaft und Praxis noch ein wenig zueinanderfinden. Das merkt man auch in den Diskussionen um Startups, die von beiden Seiten oftmals noch sehr abstrakt geführt werden.

Die Fixierung auf die ganz großen Startup-Erfolge ist zu einseitig

Ein wenig konkreter wird es dann doch noch am Ende des zweiten Tages. Eine Doktorandin von einer finnischen Universität stellt ihre Studie vor, in der sie die Anforderungen von Stellenanzeigen und Tätigkeitsprofilen aus den Jahren 2014 und 2016 verglichen hat. Dabei stellt sie fest, dass etablierte Unternehmen immer mehr Mitarbeiter explizit mit Startup-Erfahrung suchen. Auch ein finnischer Doktorand, der speziell die Wachstumsambitionen von Gründern beleuchtet, startet seinen Vortrag am letzten Tag direkt mit der Aussage, dass globale Medien und Investoren sich stark um den Hype um die großen, milliardenschweren Erfolgsgeschichten ranken, die so genannten Unicorns (“Einhörner“). Damit bilde man aber nur einen Bruchteil des Themas Unternehmergeist ab. Nach seinen Untersuchungen weisen sehr viele Gründer und junge Unternehmen ohnehin nicht die technologischen Grundvoraussetzungen für eine solche Skalierung auf, noch haben sie den sozialen Kontext (Charakter, Kultur, Erfahrung, Netzwerk) dafür.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt merkt man, wie gut es in Zeiten der in schwindelerregenden Höhen kletternden, millionen- und milliardenschweren Unternehmensbewertungen auch einmal tut, nüchtern auf das Thema zu blicken. Am Ende der drei Tage bleibt die Erkenntnis, dass insbesondere Wissenschaft und Praxis noch mehr voneinander lernen könnten. Die ISPIM bietet dafür ein buntes Format, so bunt, wie Innovationen eben sind.

Über den Autor

Martin Allmendinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Unternehmensgründungen und Unternehmertum an der Universität Hohenheim in Stuttgart und Partner der Innovations- und IT-Beratungsfirma OMM Solutions GmbH. Direkt nach seinem betriebswirtschaftlichen Studium gründete er 2013 mit Hilfe des Exist-Gründerstipendiums an der Universität Hohenheim das Startup Enpatech aus. Heute promoviert er über die Möglichkeiten und Besonderheiten innovationsorientierter Partnerschaften zwischen etablierten Unternehmen und jungen technologiegetriebenen Startups. In Porto stellte er die Ergebnisse seines aktuellen wissenschaftlichen Artikels vor, in dem es um innovationsorientierte Partnerschaften von etablierten Firmen mit Startups geht.