IdeenwerkBW-Schwerpunkt Food (3): Wie lassen sich Lebensmittelabfälle vermeiden? Das Stuttgarter Startup Foodoracle will mit intelligenten Prognosedaten Großküchen wie etwa Mensen effizienter machen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Immer wenn der Luft- und Raumfahrtechnik-Student Valentin Belser in der Mensa spät dran war, stellte er fest, dass er kurz vor der Schließung immer noch die volle Menüauswahl hatte. „Da ist mir bewusst geworden, wie viel am Ende im Müll landet.“ 16 Prozent der Lebensmittel, die in Deutschland in der Gastronomie verwendet würden, würden so verschleudert, sagt er. „Der Handel ist da schon weiter und hat dank intelligenter Datenanalyse seine Verlustquoten auf um die fünf Prozent gesenkt“, sagt Belser: „Es gibt inzwischen auch viele Initiativen, die nicht benötige Lebensmittel weiterverwerten, damit sie nicht entsorgt werden müssen“, sagt er. „Aber wir bei Foodoracle wollen früher ansetzen: Wir wollen verhindern, dass ein Ausschuss überhaupt erst entsteht.“

 

Belser und der Informatiker Jakob Breuninger vom Startup Foodoracle glauben, dass eine bessere Auswertung von vorhandenen Daten deutlich bessere Bedarfsprognosen erlaubt. „Wir arbeiten mit ,deep learning‘ und künstlicher Intelligenz. Das geht sehr schnell und genau“, sagt Belser.

Foodoracle macht schon Tests an der Stuttgarter Uni-Mensa

Ihr erstes Erprobungsfeld sind die Mensen der Universität. Im Zusammenarbeit mit dem Studentenwerk trainieren sie gerade ihren Algorithmus mit realen Daten, die mehrere tausend bis zehntausend Mahlzeiten täglich betreffen. Dabei braucht es gar nicht viele unterschiedliche Informationen. Welches Essen wurde in der Vergangenheit in welchen Mengen ausgegeben? Gibt es kalendarische Termine wie Brückentage, Semesterferien oder Prüfungszeiträume, die eine Rolle spielen? Und wie korrelieren Wetterdaten je nach Standort mit der Nachfrage – gehen also Studenten in der Innenstadt bei schönem Wetter eher außerhalb der Uni essen? Detaillierte Daten aus dem Kassenabrechnungssystem liegen in Stuttgart bereits vor. Sie erlauben sogar bis hin zur Nachfrage nach einzelnen Menüs zu differenzieren.

„Das wichtigste ist, dass wir die Daten über einen längeren Zeitraum haben, mindestens zwei, besser drei Jahre, um daraus Trends ablesen zu können,“ sagt Breuninger. „Predictive Analytics“ heißt das auf neudeutsch. Der Datenschatz muss nur noch gehoben und richtig verknüpft werden. Das System lernt ständig dazu: Je länger die Datenreihe, umso größer die Sicherheit der Prognose, die auch über Wochen vorausblickt, weil Ware oft Wochen im voraus bestellt werden muss. „Wenn sie neue Ernährungstrends erkennen wollen, etwa eine wachsende Vorliebe der Studenten für veganes Essen, dann reichen ihnen dafür nicht nur ein paar Monate“, sagt Breuninger. Ein eher amüsantes Ergebnis ist, wie schnell die Nachfrage nach traditionellen Lieblingsessen wie Spaghetti Bolognese und Linsen mit Spätzle einbricht, wenn Studenten eine ganze Woche lang im Rahmen von günstigen Aktionsessen damit bekocht werden.

Kühle Mathematik statt Bauchgefühl

Kühle Mathematik soll die menschliche Erfahrung nicht ersetzen, aber mit objektiven Daten unterstützen. Das System gibt je nach der Qualität der verfügbaren Daten einen kleineren oder größeren Korridor an Wahrscheinlichkeiten an. Die letzte Entscheidung, welchen konkreten Wert innerhalb dieses Spektrums man für die Menüplanung zugrunde legt, trifft dann immer noch der Mensch. Zurzeit sind Belser und Breuninger dabei, einmal abzugleichen, ob ihr seit November des vergangenen Jahres entwickeltes Analyse-Programm die Essensausgabe der vergangenen Monate korrekt vorhergesagt hätte.

Beide können sich gut vorstellen, als Unternehmer damit auch international groß einzusteigen: „Die Mathematik ändert sich nicht an der Landesgrenze“, sagt Breuninger. Aber letztlich gehe es ihnen bei Foodoracle nicht in erster Linie um den kommerziellen Erfolg: „Das Ganze hat einen großen gesellschaftlichen Nutzen und wir nehmen damit niemandem den Arbeitsplatz weg“, sagt Belser – und fügt hinzu: „Nur die eine oder andere Biogasanlage zur Abfallverwertung bekommt vielleicht etwas weniger Nachschub.“ Ihre Firma trägt inzwischen den Namen Noyanum.

Die Vision von Foodoracle

Foodoracle wurde als Unternehmen im August 2017 gegründet. Denn die beiden Initatoren sehen ein klares Geschäftsmodell. Jenseits des ethischen Aspekts ist das Einsparpotenzial enorm. Um mindestens ein Fünftel soll ihr System den Abfall senken – in einer Mensa kann das schon 35000 Euro im Jahr an Einsparungen ermöglichen. Nicht nur in Stuttgart, sondern auch beim Dachverband der Studentenwerke in Deutschland haben sie bereits den Fuß in der Tür.

Potenziell ist der Markt riesig – doch um das Analysesystem groß ausrollen zu können, bräuchte es einen Investor. Frühestens Ende des kommenden Jahres werde diese Frage sich konkret stellen. Die intelligente Technik selbst wird dabei personalmäßig der kleinste Posten. Den größten Bedarf hätte hingegen das Thema Marketing.