IdeenwerkBW-Schwerpunkt Food (1): Baden-Württemberg ist beim Thema Startups mehr als Industrie 4.0. Die Food Angels Heilbronn haben sich auf ein Thema spezialisiert, an das in Deutschland keine andere Investorengruppe auf diese Weise herangeht.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Heilbronn - Wolf Michael Nietzer bekommt seine Kapitalrendite manchmal in Gestalt einer kleinen Tüte. „Das müssen Sie probieren,“ sagt er und schiebt einen kleinen roten, halbrunden Zuckerschaum mit Erdbeergeschmack hinüber, den ihm „Der Zuckerbäcker“, eines seiner Startups, zum Gruß geschickt hat. „Wenn ich im Food-Bereich investiere, dann hat das auch mit Emotionen zu tun“, sagt der Rechtsanwalt.

 

Zu Hause hat er ganze Regale voller Produkte von Unternehmen, in die er investiert hat, aber auch von jungen Unternehmen, die ihn mit dem ess-, schmeck- und riechbaren Produkt erst davon überzeugen wollten. „Ich muss da alles mal probieren“, sagt er lachend. Der englische Begriff „Food“ geht dabei weit über die wörtliche Übersetzung „Nahrungsmittel“ hinaus. Er umfasst alle Technologien und Geschäftsmodelle von der landwirtschaftlichen Produktion, über die Lebensmittelherstellung, den Verkauf und den Vertrieb bis hin zu ökologischen und sozialen Themen wie die Vermeidung von Verschwendung.

Der Food-Bereich ist enorm vielfältig

Es gebe kaum einen Investitionsbereich von so großer Vielfalt – und mit so viel Potenzial, sagt Nietzer: „Manche glauben, dass der Bereich Lebensmittel das nächste ganz große Ding werden könnte. Denken Sie mal dran, dass Amazon beispielsweise gerade Whole Foods gekauft hat, die größte Öko-Ladenkette der USA!“ Dass eine Investorengruppe namens Food Angels ausgerechnet in Heilbronn zusammengefunden hat, ist aber einem Zufall zu verdanken. Nirgendwo sonst in Deutschland gebe es Investoren, die sich auf diesen Bereich spezialisiert hätten, sagt der Heilbronner. Das hat nur am Rande damit zu tun, dass mit dem heute zum niederländischen Unilever-Konzern gehörenden Lebensmittelhersteller Knorr und dem Discounter Lidl zwei große Firmen aus der Region in dem Bereich aktiv sind. Ein paar Mitglieder des fünfköpfigen Investorenkonsortiums Food Angels Heilbronn haben zwar Erfahrung in der Branche, aber der eigentliche Anlass war ein anderer. Vor einigen Jahren präsentierte sich aber bei einem so genannten Startup-Pitch zwischen lauter komplizierten Gründer-Ideen rund um das Thema Industrie 4.0 und Digitalisierung auch ein Startup-Team aus Sachsen, das Fruchtgummis mit Koffein anbieten wollte.

Die Food Angels Heilbronn fanden sich am Rande eines Pitches

Das Thema habe frischen Wind in die Veranstaltung gebracht, so erinnert sich Nietzer. Die anwesenden Investoren löcherten das Team mit Fragen. Das Investment wurde allerdings nichts. „Aber wir haben festgestellt, dass wir gut harmoniert haben“, sagt er über seine Investoren-Kollegen, die er damals kennengelernt hat. Und sofort kam die Frage auf: Sollen wird nicht künftig in dem Bereich gemeinsam etwas machen? Ein Investment in ein Food-Startup sei nichts für Leute, die das schnelle Geld im Blick hätten: „Wir bauen gerne ein Unternehmen auf. Das muss Spaß machen.“

Ob man im Deutschland im Bereich der Lebensmittel-Startups nachhaltig Geld verdienen könne, sei noch offen: „Das ist ein Marathon.“ Erst nach fünf bis sechs Jahren erweise sich, ob man richtig liege. Idealisten seien die „Food Angels“ allerdings nicht. Es geht ums Geldverdienen. Und so lädt er Gründer zwar gerne auch einmal auf ein Bier, um ihnen Ratschläge zu erteilen. Aber investiert wird nur, wo auch Wachstumspotenzial vorhanden ist – und das sind oft gerade nicht die Modethemen wie der Trend zu veganen Produkten. Entgegen der Schlagzeilen sei hier der Markt beispielsweise immer noch winzig.

Kreative Ideen gebe es bei Lebensmittel-Startups viele. Aber der Weg auf den Markt sei knallhart. Im Lebensmittelbereich sei der Online-Vertrieb eine Nische. Wer auf den Markt wolle, komme an den großen Händlern nicht vorbei. Und das sei in Deutschland ein Nadelöhr. Es gebe wenige, große Spieler – und manche wie die Kette Edeka seien zudem sehr dezentral organisiert.

Die Konkurrenz beim Thema Müsli schläft nicht

Dass ein großer Müsliriegelhersteller inzwischen versucht, eines seiner Startups zu kopieren, das unter dem Namen „Hafervoll“ naturgesund schmeckende Haferflocken-Riege anbietet, sei zwar ein wenig nervig, aber durchaus auch eine Adelung durch die Branche. Kurz habe man überlegt, wegen des Markenschutzes angesichts der kaum verschleierten Kopie von Verpackung und Namen vor Gericht zu ziehen. „Aber die Leute vom Startup haben gesagt, dass sie dafür nicht ihre Kraft investieren wollen“, sagt er. Und im übrigen sei im Imitationsprodukt „der ganze gleiche, konventionelle Mist“ drin, der die übrigen Produkte des Groß-Konkurrenten auszeichne.

Deutsche sind allerdings beim Thema Lebensmittel eher konservativ. Nietzer hat beispielsweise in ein Startup investiert, das Insekten-Burger anbietet. In den Niederlanden und Belgien hat die Markteinführung begonnen. „In Deutschland haben sie da keine Chance: Insekten gelten als Schädlinge und dürfen vom Grundsatz her nicht als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden“, sagt Nietzer.

In Zukunft künstlich hergestellte Lebensmittel?

Auch das Thema künstlich hergestellte Lebensmittel sieht Nietzer als einen großen Trend, der aber in Deutschland später ankommen werde als anderswo. In New Yorker Restaurants werde hingegen im Reagenzglas gezüchtetes Fleisch schon serviert. Doch angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und des Klimawandels könnte hier die bisherige Zurückhaltung fallen. Auch dem Pflanzenanbau in Städten, etwa an Hochhausfassaden, prophezeit der Heilbronner Investor eine große Zukunft: „Oft haben sie da aber noch ein Energieproblem“, sagt er. So manches Startup habe den Stromverbrauch unterschätzt.

Nietzer und die Food Angels Heilbronn haben die Vision, Heilbronn noch mehr als bisher beim Thema „Food-Startups“ auf die Landkarte zu bringen. Im vergangenen Jahr hat bereits ein so genannten „Startup Weekend Food“ in der Stadt stattgefunden. „Sie müssen aber darauf achten, dass die Ideen auch genügend Niveau haben“, sagt Nietzer. Ein origineller Einfall für ein einziges Produkt, sei beispielsweise keine ausreichende Grundlage für erfolgreiche Geschäfte.

Profil: Der Investor Michael Nietzer

Nietzer ist eigentlich Rechtsanwalt. Er berät insbesondere im Handels- und Gesellschaftsrecht, Unternehmenskauf und – verkauf oder bei Problemen des internationalen und wegen seiner Zulassung in den USA auch insbesondere US-amerikanischen Vertragsrechts. Er ist unter anderem auch Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Heilbronn tägig.

Das Portfolio der Food Angels Heilbronn ist sehr vielfältig gestreut. Unter den derzeitigen 15 Investments sind nicht nur Insektenburger (Bug Foundation), Haferriegel (Hafervoll), Gewürze (Just Spices) und Grillwürstchen (Grillido), sondern etwa auch eine Restaurantkette (Verts), ein Rezeptedienst (Kptn Cook) oder eine Plattform mit Klimadaten für Landwirte (Booster Agro).