Flache Hierarchien passen nicht zu den bisherigen Statussymbolen von Chefs. Wer heute seine Wichtigkeit signalisieren will, bestimmt den eigenen Terminkalender.

Stuttgart - Flache Hierarchien, einstimmige Entscheidungen, ständig wechselnde Projektteams – die Arbeitswelt 4.0 verändert die Unternehmen samt ihren traditionellen Machtstrukturen. Ganze Management-Ebenen fallen in großen Konzernen der Umstrukturierung zum Opfer. Wer heute noch Chef ist, kann morgen Kollege sein. Entsprechend bescheiden treten inzwischen selbst große Konzernlenker auf. So pflegt etwa Daimler-Chef Dieter Zetsche seit Jahren das Image vom Top-Manager in Turnschuhen und Jeans.

 

Die neue Egalität zieht sich bis hinunter auf Abteilungsebene. Flache Hierarchien machen das Duzen in vielen Firmen inzwischen zur Normalität. Krawatte und Sakko kommen höchstens noch beim Kundenbesuch zum Einsatz und der eigene Schreibtisch weicht dem „Open Space“. Für Führungskräfte ist die Umstellung am größten. Ihre alten Insignien der Macht verlieren an Bedeutung. Sogar der Dienstwagen – traditionelles Statussymbol aller Manager – steht auf dem Prüfstand. Und das nicht erst seit dem Dieselskandal.

Die „Generation Y“ legt auf Insignien der Macht wenig wert

Zwar gehört ein Oberklassewagen bisher noch zum üblichen Gehaltspaket eines Top-Managers, doch manche Modelle sind aus dem Angebotskatalog verschwunden. „Die S-Klasse als Dienstwagen gibt es so gut wie gar nicht mehr“, weiß Matthias Mohr, geschäftsführender Gesellschafter der Personalberatung Dr. Heimeier & Partner in Stuttgart. Ein Grund dafür ist, dass die öffentliche Akzeptanz für protzige Statussymbole gesunken ist. In manchen Unternehmen wird fähigen Mitarbeitern ersatzweise die Bahncard 100 angeboten.

Vor allem die „Generation Y“ legt weniger Wert auf die alten Insignien der Macht. Laut einer Studie des Frankfurter Zukunftsinstituts wünscht sich nur ein Drittel der nach 1980 Geborenen ein Firmenhandy oder einen Firmenwagen. 90 Prozent dagegen wollen eine gute Arbeitsatmosphäre und Zusammenarbeit im Team. „Für die Generation Y ist der Dienstwagen nicht mehr das Nonplusultra“, sagt Vera Winter, die in der Personalabteilung des Automobilzulieferers Bosch für die Nachwuchsgewinnung zuständig ist.

Flache Hierarchien bedeuten gleich große Schreibtische

Um die Zusammenarbeit und eine offene Feedbackkultur zu fördern, hat Bosch vor zwei Jahren das Vergütungssystem umgestellt. Selbst der Bonus von Führungskräften hängt seither nicht mehr von der individuellen Zielerreichung ab, sondern vom Gesamtergebnis des Unternehmens und dem Ergebnis des eigenen Bereichs. Auch äußerlich hat sich viel geändert: „Früher gab es bei uns genormte Schreibtischgrößen“, erinnert sich Winter. Dabei richteten sich Größe und Material nach der Hierarchiestufe des Nutzers. Diese Regelung gebe es seit Langem nicht mehr.

Doch während sich die meisten Nachwuchskräfte im Großraumbüro wohlfühlen und für ihre Teambesprechungen die dazu bereitgestellten Sitzecken nutzen, trennen sich manche Babyboomer nur widerwillig von lieb gewonnenen Vorzügen. „Ein großes eigenes Büro in einem der oberen Stockwerke ist in traditionellen Branchen nach wie vor ein sehr wichtiges Statussymbol. Dazu gehört auch eine exquisite Möblierung mit angesagten Marken“, sagt der Heidelberger Psychologe und Führungskräfte-Coach Gerhard Fischl. Entsprechend empfindlich reagieren solche Manager auf den Trend zum Großraumbüro und die Abschaffung von Vorzimmern, die sie über Jahre vom Rest der Belegschaft abtrennten.

Der Verlust von Einzelbüros ist nicht immer populär

„Es gibt oft Leute, die das bei mir thematisieren“, berichtet Fischl. Sie klagen über den Verlust von Privatsphäre, aber auch über Schwierigkeiten mit der Konzentration. Der Widerstand gegen den Wandel ist groß. In manchen Unternehmen werden die alten Privilegien der Führungskräfte deshalb nur vordergründig abgeschafft, indem die Namensschilder an Chefbüros und Vorstandsparkplätzen verschwinden. Tatsächlich aber traut sich kein einfacher Mitarbeiter, diese nun für alle zugänglichen Plätze selbst zu nutzen.

Flache Hierarchien hin oder her: Es gibt also noch Statussymbole, nur dürfen sie nicht mehr so offen gezeigt werden wie früher. Das musste schon der ehemalige Siemens-Chef Klaus Kleinfeld erleben. Als er 2005 den Vorstandsvorsitz übernahm, retuschierte die Presseabteilung auf dem offiziellen Antrittsfoto die Rolex an seinem Handgelenk weg. Die Zurschaustellung eines solchen Luxus sei nicht mehr zeitgemäß, so das Argument. Doch die Manipulation flog auf, was die öffentliche Diskussion um den teuren Zeitmesser erst recht anheizte.

Die wahren Statussymbole sollen nur Insider erkennen

Statt einer Rolex wählen viele Manager inzwischen lieber eine weniger bekannte, aber ebenso teure Marke wie IWC. Und anstelle von Accessoires mit auffälligem Label werden Luxusgüter gewählt, die so unauffällig sind, dass nur noch Insider sie als solche erkennen. Dazu gehören maßgeschneiderte Kleidung ebenso wie handgefertigte Taschen oder Schuhe. Dieser Trend zur öffentlichen Bescheidenheit hat sogar einen Namen: Stealth Wealth, was frei übersetzt so viel wie Heimlichkeits-Wohlstand bedeutet.

Doch flache Hierachien führen auch zu einem wachsenden Bedürfnis, sich innerhalb der eigenen sozialen Schicht oder Hierarchieebene vom Gegenüber abzugrenzen. Wer seinen Status doch einmal lautstark nach außen kundtun möchte, tut das subtil. Ein Hinweis auf das exotische Ziel der letzten Urlaubsreise, auf die teure Privatschule der Kinder oder die Teilnahme an einer wichtigen Konferenz reicht oft schon, um den eigenen Status unmissverständlich zu kommunizieren.

Unabhängigkeit ist ein wertvolles Gut

Die begehrtesten Statussymbole jedoch fußen heutzutage nicht mehr auf Kaufkraft, sondern auf beruflicher Unabhängigkeit. „Der Status kommt dadurch, was einer kann, und nicht, was einer trägt“, erklärt Personalberater Mohr. Wer mit Kenntnissen, Erfahrungen und Einsatz überzeuge, könne sich Freiräume erwerben, um die ihn andere beneiden. Psychologe Fischl sieht das ähnlich. Vor allem die Hoheit über den eigenen Terminkalender, die Urlaubsplanung oder den Arbeitsort erhöhe den eigenen Status: „Wenn ich einen Terminvorschlag einfach ablehnen kann, bin ich in der Hierarchie schon recht weit oben angekommen“, so Fischl.

Signalisiert werden diese Freiheiten je nach Branche und Unternehmensgröße durch besonders kreative Titel auf dem Namenskärtchen oder durch ein – manchmal nur intern gut verständliches – Buchstabenkürzel am Ende einer Mail. Manche Experten gehen sogar so weit, die Definition von Statussymbolen radikal zu erweitern. So könnten heute auch bestimmte politische Ansichten, eine Einstellung oder ein ausgefallener Stil als Statussymbol gewertet werden, sagt etwa der Luxusforscher Lambert Wiesing. Die muss man sich innerhalb eines Unternehmens schließlich auch erst einmal leisten können.