Thema Startups und Etablierte: Das neue Programm Activatr in Stuttgart will in einem strukturierten, sich über mehrere Monate erstreckenden Innovationsprogramm die Stärken von Gründern und Mitarbeitern aus etablierten Firmen kombinieren.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Traditionelle Unternehmensschule versus Start-up-Kultur? Winfried Richter und Adrian Thoma haben selbst erlebt, dass das Reibungspunkte bietet. Als sie sich vor einigen Jahren auf den Vorschlag von Bekannten erstmals in einem Stuttgarter Café trafen, um gemeinsame Projekte auszuloten, stimmte die Chemie zunächst sofort. Richter hatte viele Jahre in verantwortlicher Position bei einem schwäbischen Maschinenbauer hinter sich und wollte etwas Neues anpacken. Adrian Thoma hatte mit einem Projekt Höhen und Tiefen des Start-up-Lebens durchlaufen – und wollte sich ebenfalls neu orientieren. Aber nach dem vielversprechenden Auftakt musste sich das Zweierteam immer wieder zusammenraufen, teils nach Diskussionen, die eine ICE-Fahrt von Stuttgart nach Köln dauern konnten.

 

Die Initiatoren von Activatr kennen den Kontrast der Kulturen

Bis heute sind sie ein Team der Kontraste. „Ich bin eher ein Marathonläufer, während Adrian sagt, dass ihm beim Hundertmeterlauf bei 80 Metern die Puste ausgeht“, sagt Richter. Sein Geschäftspartner sei der Mann fürs große Ganze, die strategischen Visionen, sagt Thoma: „Meine eigene Stärke ist es, ein paar Minuten vor Ende eines Meetings aufzustehen und die Leute dazu zu bringen, die übrig gebliebenen drei Fragen abzuhaken.“ Sie haben die produktive Kraft ihrer Gegensätze schätzen gelernt. Nun spiegeln sich diese Erfahrungen in einem innovativen Konzept, bei dem Gründerdenken und Firmenerfahrung eine fruchtbare Kombination eingehen sollen.

Ende März ist auf dem Startup Campus Stuttgart zunächst mit vier teilnehmenden Unternehmen aus Baden-Württemberg das Innovationsprogramm Activatr (tatsächlich ohne e!) gestartet. Gemischte Teams aus je zwei erfahrenen Gründern und Mitarbeitern einer etablierten Firma sollen in einem etwa dreivierteljährigen, eng getakteten Programm ein Zukunftsproblem der beteiligten Firmen innovativ angehen. Das kann die Frage nach einem neuen Geschäftsmodell im digitalen Zeitalter sein oder die Suche nach dem richtigen Markt für eine schon entwickelte Technologie. Pioniere im Programm sind der Technologiekonzern Bosch, das Energieunternehmen EnBW, der Autozulieferer Mahle sowie der Autobauer Porsche.

Bei den teilnehmenden Gründern sind die Auswahlmaßstäbe streng. „Wir wollen nur erfahrene Leute, die bereits einmal gegründet haben und nun nach einer neuen Herausforderung suchen“, sagt Thoma. Der Reiz sei, dass sie bei dem Programm von vornherein ein Unternehmen als Partner hätten, das nicht nur Ressourcen zur Verfügung stellt, sondern auch das Suchfeld für die Innovationen vorgibt. Normalerweise sucht ein Gründerteam mit einer fertigen Idee nach einem Firmenpartner oder eine etablierte Firma fahndet nach passenden Start-ups.

Im Activatr-Programm steckt die beteiligte Firma von vornherein das Ziel ab. Aus Sicht der Start-up-Teilnehmer bedeutet dies einen gewissen Verlust an Entscheidungsfreiheit. An festen Meilensteinen kann der etablierte Partner entscheiden, ob das Projekt weitergeht oder nicht. Sollte er aussteigen, werden die Gründer im Team für ihre bisher erbrachte Leistung mit sukzessiv höheren Beträgen entschädigt. „Das ist nicht weit weg von der üblichen Start-up-Erfahrung“, sagt Thoma, „Sobald man Kapital braucht und einen Investor ins Boot holt, redet der immer mit.“

Die andere Hälfte des Teams sind Mitarbeiter aus den teilnehmenden Firmen, die außerhalb ihrer üblichen Umgebung mehr Freiraum für Kreativität bekommen sollen. Sie behalten ihren Arbeitsvertrag und werden je nach Etappe immer stärker aus ihrer bisherigen Tätigkeit herausgelöst.

Das Programm hat vier Stufen, die auf einer aus der Start-up-Kultur bekannten und bewährten Methodik gründen. An Punkt eins, der „Zündungsphase“ („Ignition Phase“), geht es zunächst einmal darum, dass das Viererteam zusammenfindet und den kulturellen Hintergrund der anderen Partner versteht. „Für die Teilnehmer mit Start-up-Hintergrund beginnt das mit einer ausgiebigen Führung beim Firmenpartner“, sagt Thoma. In zweieinhalb Tagen ist dieser Punkt absolviert.

Fest definierte Zwischenetappen

Stufe zwei ist die Ideenfindung, neudeutsch „Ideation Phase“, in der innerhalb einer Woche eine Geschäftsidee gefunden werden soll. In Phase drei („Discovery Lab“), die acht Wochen Arbeit in Teilzeit umfasst, soll dann das dazu passende Geschäftsmodell ausgearbeitet werden. Ist diese Hürde genommen, geht es aufs Ganze: In einem halben Jahr Vollzeitarbeit, die in der Regel am Sitz des beteiligten Unternehmens absolviert wird, soll ein wachstumsfähiges Start-up entstehen, das Prototypen vorweist und erste Aufträge hat.

Winfried Richter musste übrigens erst davon überzeugt werden, bei den Etappen englische Start-up-Vokabeln zu wählen. „Mittelständlern sträuben sich da manchmal die Haare“, sagt er. Aber wenn man moderne Gründerpersönlichkeiten locken will, kommt man um Coolness nicht herum.

Was am Ende passiert, liegt an den Partnerunternehmen: Lässt man das Team aus Gründern und (dann ehemaligen) Mitarbeitern als eigene Firma abheben? Integriert man die Idee ins eigene Geschäft? Es sei unvermeidlich, dass einige Konzepte auf dem Weg scheitern würden, sagt Thoma. „Aber es wird auch Erfolge geben, die Vorbildcharakter haben.“