Es ist ein für Baden-Württemberg einmaliges Experiment: Lassen sich aus Gründern mit Startup-Geist und Mitarbeitern etablierter Firmen dynamische Innovationsteams schmieden? Am Beispiel eines EnBW-Teams zieht nun das Projekt Activatr Bilanz.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Vier Firmen aus Baden-Württemberg, der Technologiekonzern Bosch, der Autozulieferer Mahle, der Autobauer Porsche und der Energiekonzern EnBW haben seit April versucht, das beste aus der Start-up-Welt und ihrer Firmenkultur miteinander zu zu verbinden. Je zwei erfahrene Gründer sollten mit innovationsfreudigen Mitarbeitern aus den teilnehmenden Unternehmen zusammengespannt werden, um gemeinsam eine neue Geschäftsidee zu finden. Sie sollte idealerweise nach am Ende des insgesamt neunmonatigen Programms namens Activatr in die Praxis umgesetzt werden. Jede Firma hatte auf dem Startup Campus in Stuttgart zwei Teams am Start, die ein vorher umrissenes Innovationsproblem lösen sollten. Nun zieht Activatr Bilanz.

 

Für den Energiekonzern EnBW sollte eine Gruppe unter der weit gefassten Überschrift „smarte Stadt“ ein Geschäftsmodell entwickeln, das auf in einer Stadt erfassten Daten aufbaute. Team zwei hatte die enger definierte Aufgabe, die bisher unrentablen Ladestationen für Elektrofahrzeuge wirtschaftlich lukrativer zu machen. Das wichtigste Ergebnis nach den ersten drei Monaten: Entscheidend ist weniger die konkrete Idee, sondern ob die Teams harmonieren. Aus vier Teilnehmern sind bei dem Projekt zum Thema „smarte Stadt“ zwei geworden. Die anderen sind nicht mehr dabei. Die verbliebenen Teammitglieder Nico Baltsios und Moritz Pfeiffer haben erste Berufserfahrungen in einer Bank beziehungsweise einem IT-Konzern gesammelt. Als Unternehmer haben sie sich beide schon einmal versucht. Baltsios plante eine App zur Vermietung von Parkplätzen, Pfeiffer arbeitete an Apps und Webseiten. Doch der große Durchbruch blieb aus.

Bei Activatr agieren Firmen als Türöffner für Gründer

Beide sehen nun das Activatr-Projekt als ihre große Chance: Obwohl EnBW sich sein Engagement über Anteile bezahlen lässt, habe man große unternehmerische Freiräume. Andererseits profitiere man von der Hilfe des Konzerns: „EnBW ist definitiv ein Türöffner“, sagt Baltsios: „Meine erste Gründung war schwieriger – hier ist alles gebündelt.“ Mit seinem Teamkollegen arbeitet er an einem Startup namens Binando.

Es entwickelt Mülltonnen, die mithilfe von Sensoren ihren genauen Füllstand kommunizieren. Man kann die Touren für die Abholung dann flexibel nach Bedarf organisieren, was viel wirtschaftlicher ist. Über die EnBW haben sie bereits Kontakt mit konzerninternen Projekten zum Thema Sensorik und Datenerfassung. Bereits Ende des Jahres könnte ein Pilotprojekt mit Gewerbemüll in Stuttgart starten. „Von allein hätten wir nie eine solche Idee verfolgt“, sagt Baltsios.

Doch was ist mit den anderen beiden, von EnBW kommenden Teammitgliedern geworden? Sie sind bei dem Gespräch erst gar nicht mehr dabei. Baltsios und Pfeiffer machten von Anfang an Tempo und harmonierten in ihrem auch von früheren Startup-Erfahrungen gespeisten Gründer- Ehrgeiz perfekt. „Die zwei haben sehr viel mehr reingesteckt als im Programm vorgesehen. Für die Mitarbeiter, die weiter im Konzern waren, war es unglaublich schwierig, da mitzuhalten,“ sagt die betreuende EnBW-Innovationsmanagerin Christine Wienhold.

Activatr Bilanz: Angestellter oder Gründer? Es zählen Persönlichkeiten

Das liege nicht am Gegensatz von Angestelltenmentalität und Gründerdenken, sagt Adrian Thoma, der das Activatr-Programm mitentwickelt hat. Es gebe auch gemischte Teams aus Gründern und Angestellten, die weitermachten, sagt er. „Man muss für das Thema brennen – dann macht man mehr, auch zusätzlich zum Job,“ sagt Binando-Gründer Pfeiffer. Und Winfried Richter vom Activatr-Team ergänzt: „Entscheidend sind die menschlichen Prozesse: Der Chef hat mich nur einen Tag freigestellt – wo zieht es mich eigentlich hin?“. Entscheiden müssten sich alle Teilnehmer, sagt Thoma: „Wir wollten bei den Start-up-Teilnehmern niemand, der das als Hintertürchen in ein Anstellungsverhältnis sieht.“ Als Moderatoren sei man durchaus gefordert gewesen: „Unternehmertum heißt nicht, dass sich alle gegenseitig lieb haben,“ so Thomas Activatr Bilanz.

Die richtigen Teams zusammenzuschmieden sei wie eine Heiratsvermittlung. Beim Energiekonzern EnBW bekennt man sich offen dazu, dass die Dinge anders gelaufen sind als ursprünglich konzipiert. Genau um solche Erfahrungen gehe es doch, sagt die Projektbetreuerin Wienhold. „Wir haben etwa gelernt, dass man die Themenstellungen nicht zu eng fassen sollte“, sagt sie: „Das Team mit der Ladeinfrastruktur hatte Schwierigkeiten, Fuß zu fassen, weil viele Ideen im Konzern schon einmal andiskutiert worden waren.“ Mit dem Projekt Activatr hat man die Konzernmauern bewusst verlassen – obwohl man in Karlsruhe einen eigenen EnBW-Innovationscampus hat.

„Der große Vorteil ist, dass die Teams außerhalb des Konzern agieren können und an interne Regularien und Prozesse nicht gebunden sind“, sagt Wienhold über die Activatr Bilanz. Das reiche von flexiblem Einkauf bis hin einem größeren Mut zur Unfertigkeit, weil nicht der Name EnBW über allem schwebe: „Als Binando lässt sich manches einfacher ausprobieren.“ Vor allem sei es sinnvoll, ein solches Innovationsprojekt wie bei Activatr auch einmal firmenübergreifend anzugehen: „Es hat sehr geholfen zu sehen, dass es den anderen Teams ähnlich geht – und dass man nicht der einzige ist, der am Ende eines Tages mal wieder sein ganzes Geschäftsmodell über den Haufen geschmissen hat.“ In der übernächsten Runde Anfang des kommenden Jahres will EnBW jedenfalls wieder dabei sein.

Wie funktioniert das Activatr-Programm?

Das Programm hat vier Stufen, die auf einer aus der Start-up-Kultur bekannten und bewährten Methodik gründen. An Punkt eins, der „Zündungsphase“ („Ignition Phase“), geht es zunächst einmal darum, dass das Viererteam zusammenfindet und den kulturellen Hintergrund der anderen Partner versteht. „Für die Teilnehmer mit Start-up-Hintergrund beginnt das mit einer ausgiebigen Führung beim Firmenpartner“, sagt Thoma. In zweieinhalb Tagen ist dieser Punkt absolviert.

Stufe zwei ist die Ideenfindung, neudeutsch „Ideation Phase“, in der innerhalb einer Woche eine Geschäftsidee gefunden werden soll. In Phase drei („Discovery Lab“), die acht Wochen Arbeit in Teilzeit umfasst, soll dann das dazu passende Geschäftsmodell ausgearbeitet werden. Ist die Hürde genommen, soll in einem halben Jahr Vollzeitarbeit ein wachstumsfähiges Start-up entstehen, das möglicht erste Aufträge hat.