Startups in Ludwigsburg profitieren stark von der kreativen Atmosphäre. Dank der Filmakademie hat sich die einst verschlafene Beamtenstadt Ludwigsburg heute zu einem begehrten Standort für Gründer und Digital Natives entwickelt.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Ludwigsburg - In der Mittagshitze flitzen zwischen imposanten Gebäuden aus rotem Backstein Skateboardfahrer herum. Junge Menschen, darunter Bart- und Rastaträger, quatschen miteinander auf provisorisch aufgestellten Bierbänken und essen dabei Couscous-Salat. Im Gebäude hinter ihrem Rücken befindet sich eine kubistische Landschaft aus weißen Quadern. Man könnte meinen, sich in die Kreativszene von Brooklyn verirrt zu haben. Doch die Backsteine sind württembergischer Natur. Sie gehören zur Mathildenkaserne der einstigen Garnisonsstadt Ludwigsburg –und beherbergen heute eine der renommiertesten Filmakademien weltweit. Dieser Akademie ist zu verdanken, dass sich der Automobilstandort Region Stuttgart auch ein wenig in Glanz und Glamour sonnen kann.

 

Unter den Preisträgern in Hollywood und Cannes findet man regelmäßig Studenten und Absolventen der Ludwigsburger Hochschule. Außerdem etablierte sich ihrem Gefolge in Ludwigsburg und Umgebung eine Gründer-Szene, die Auftraggeber aus der internationalen Filmszene, aber auch hiesige Konzerne wie Bosch und Daimler anzieht. Nach Angaben der Stadt Ludwigsburg zählt die „Kreativwirtschaft“ heute 450 Firmen mit knapp 2000 Beschäftigten, Tendenz steigend. Zuletzt habe das französische Augmented-Reality-Unternehmen Diota eine Niederlassung in Ludwigsburg aufgemacht, berichtet Tanino Bellanca, Medienbeauftragter der Stadt Ludwigsburg.

Initalzündung des Standorts liegt erst 26 Jahre zurück

Genaue Zahlen zum Wachstum und Umsatz sind in dieser Branche allerdings kaum verlässlich, zu hoch ist die Fluktuation und die schwer erfassbare Zahl der Freischaffenden. Fest steht aber, dass sich der Kreativstandort ungewöhnlich rasch entfaltet hat – die Gründung der Akademie, die als Initialzündung des Standorts gilt, liegt erst 26 Jahre zurück. Es dürften auch die roten Backsteine gewesen sein, die Albrecht Ade Anfang der neunziger Jahre vom Standort Ludwigsburg überzeugt haben. Der Trickfilmer, der zuvor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart eine Animationsklasse aufgebaut hatte, wollte damals eine praxisorientierte Filmhochschule ins Leben rufen. Auch wenn viele das Projekt belächelten, hatte er den Segen der Landesregierung.

Nach Entlassungswellen im Automobilsektor war der politische Wille da, den Strukturwandel zu fördern. In Stuttgart mangelte es aber – schon damals – an Platz. Der damalige Ludwigsburger Oberbürgermeister Hans-Jochen Henke bekam davon Wind. In seiner Stadt standen nach dem Abzug der Amerikaner mehr als ein Dutzend Kasernen leer. Ihr Charme überzeugte alle Beteiligten. Im Jahr 1991 öffnete die Filmakademie Baden-Württemberg ihre Tore. Bald zeigte sich, dass das Konzept von Ade – „Learning by Doing“ mit viel Freiraum für die Gestaltung eigener Ideen – voll aufging: Von Anfang an heimsten seine Absolventen Preise ein. Den ersten großen Coup landete 1998 Thorsten Schmidt, der für seine Abschlussarbeit „Rochade“ den Studenten-Oscar erhielt.

1995 wurde die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg gegründet, deren Fördersumme sich seitdem mit heute 15 Millionen Euro pro Jahr fast verdreifacht hat. 2002 eröffnete gegenüber der Akademie das Institut für Animation, Visual Effects und digitale Postproduktion, weil sich abgezeichnet hatte, dass in diesen Bereichen die Stärken der Ludwigsburger Ausbildung lagen – eindrücklich belegt durch den Oscar für die visuellen Effekte in Roland Emmerichs „Independance Day“, die vorwiegend Ludwigsburger Studenten zu verdanken sind. Abgerundet wurde der Campus 2007 mit dem Einzug der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg.

Startups in Ludwigsburg stammen oft aus der Kreativbranche

Den Akteuren ist es jedoch nicht nur gelungen, mit dem Campus ideale Studienvoraussetzungen für den späteren Broterwerb im hart umkämpften Filmgeschäft zu schaffen. Sie haben auch Anreize für die Absolventen geschaffen, nach dem Studium in Ludwigsburg zu bleiben: 1998 öffnete das Film- und Medienzentrum seine Pforten für Jungunternehmer, denen die Stadt als Starthilfe die Miete reduzierte oder ganz erließ. Hinzu kamen später die Startup-Zentren Jägerhofpalais, das Medienhaus Luitpold, die Mediasresidenz und das Werkzentrum Weststadt. Die Bürogebäude sind völlig ausgelastet.

Knapp die Hälfte der Absolventen bleibt inzwischen da. „Oder sie verlassen Ludwigsburg, später lassen sie sich aber mit ihrer Firma wieder hier nieder“, beobachtet Tanino Bellanca. Wie etwa die Produktionsfirma Fabrikfilm, die meist Imagefilme für Unternehmen macht. Von Beginn an geblieben sind Jonas Kirchner, der Gründer der Firma Pixelcoud, und seine Mitstreiter Christoph Rasulis und Benjamin Rudolf. Ihre Kreativ- und Werbeagentur befindet sich im Getrag-Areal, einem weiteren Kreativzentrum in der Weststadt. In dem Großraumbüro sitzen ein Dutzend junge Leute vor Bildschirmen mit animierten Bildern. Man steckt die Köpfe zusammen, fragt am Nebentisch um Rat, es wird gelacht, diskutiert, gehirnt. Pixelcloud ist nicht einfach eine einzelne Firma, sondern ein Netzwerk aus Jung-Unternehmern, die projektbezogen miteinander arbeiten.

Durch ihr breites Fachwissen können sie ihren Kunden eine Palette anbieten, die vom klassischen Werbefilm bis hin zu virtuellen mobilen Spielewelten reicht. Dass sich die drei Akademieabsolventen entschieden haben zu bleiben, liegt nicht nur an der günstigen Büromiete und öffentlichem Fördergeld. „Wir schätzen an Ludwigsburg die Größe: Man läuft sich ständig über den Weg und weiß genau, was der andere gerade tut“, sagt Benjamin Rudolf. Geschäftsführer Jonas Kirchner ergänzt: „Unsere Auftragslage ist viel zu gut, um nach Berlin oder München zu ziehen.“

Startups in Ludwigsburg profitieren von kreativer Atmosphäre

Die Filmakademie spielt bei der Vermittlung zwischen den traditionellen Firmen vor Ort und den Kreativen eine wichtige Rolle: Benötigt etwa ein Maschinenbauer einen Imagefilm, kann er sich an die „Drittmittelabteilung“ der Hochschule wenden, die den Auftrag öffentlich ausschreibt. Zum Zuge kommen oft Studenten oder ehemalige Absolventen. Die bunte Mischung aus Studenten, Persönlichkeiten aus der Filmbranche und Kreativschaffenden hat die Stadt auch atmosphärisch verändert.

Die einst etwas verschlafenen Beamtenstadt organisiert heute am laufenden Band Veranstaltungen und kann eine Gastro-Szene vorweisen mit hippen Bars, Clubs und Restaurants, in denen auch Schauspieler wie Iris Berben oder Jan Josef Liefers ein- und ausgehen.

Die Mieten sind gestiegen

Veit Haug von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart beobachtet außerdem innerhalb der Gründerszene eine so genannte „Maker-Kultur“, eine Subkultur, die bei technischen Problemen einfache statt kommerzielle Lösungen sucht, etwa mit Hilfe des 3D-Druckers. „Diese Bewegung birgt viel Potenzial“, sagt Haug. Startups in Ludwigsburg gibt es also nicht nur im virtuellen Raum.

Das Flair der Stadt und das kreative Potenzial der Digital Natives haben längst auch Konzerne für sich entdeckt: Porsche hat sein Büro in der Weststadt zu seiner Digitalzentrale erklärt, Bosch hat um die Ecke ein Startup-Zentrum eröffnet. Der rasante Zuzug an Firmen hat allerdings auch eine Kehrseite für die Startups in Ludwigsburg: Der freie Raum, der Ludwigsburg einst zum Vorteil gereichte, ist heute knapp. „Für Gründer wird es immer schwieriger, bezahlbaren Raum zu finden“, sagt Jasmin Srouji, die im Auftrag der Stadt Ludwigsburg Absolventen der Akademie bei der Immobiliensuche unterstützt. Die Preise liegen mittlerweile über dem Hamburger Niveau.