Ralf Rieger berät Genossenschaftsbanken. Er erlebt, wie sehr sie im Zeichen innovativer Finanztechnologie und der aggressiven Fintechs noch nach Orientierung suchen. Sabine Marquard und Andreas Geldner haben ihn dazu befragt.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Interview

 

Die Deutschen lieben immer noch ihr Bargeld. Heißt das, dass die Banken hierzulande etwas mehr Zeit haben werden, um sich dem technologischen Wandel zu stellen?

Das muss man nach Kundengruppen differenzieren. Es gibt Menschen, die schon sehr stark bargeldlos unterwegs sind. Andere klammern sich in der Tat ans Bargeld. Bargeld bedeutet für sie immer noch eine bessere Kontrolle ihrer Ausgaben. Auch Sicherheitsaspekte spielen eine Rolle.

Nehmen die Banken den digitalen Umbruch, den die Fintechs verkörpern, ernst genug?

Sie nehmen es wahr und ernst. Aber sie sind bei der Frage, wie sie damit umgehen sollen, im Moment noch relativ hilflos. Die Frage, wie das auf das eigene, spezielle Geschäftsmodell übertragen wird, ist oft noch offen.

Gilt das speziell für die kleineren, genossenschaftlichen Banken und Sparkassen?

Großbanken haben natürlich andere Strukturen. Aber ich stelle oft fest, dass auch die nur mit Wasser kochen. Wenn die großen Banken etwas in die Hand nehmen, etwa die Deutsche Bank die sogenannte digitale Fabrik, dann wird richtig Geld investiert. Aber unterm Strich sind sie im Moment nicht viel weiter als die kleineren Banken.

Aber der Umstieg aufs Online-Banking hat doch funktioniert?

Das Online-Banking fand im brancheninternen Wettbewerb statt, als die Direktbanken aufkamen. Heute kommt der Angriff eher aus branchenfremden Bereichen. Die Banken scheinen aber immer noch auf andere Banken als Wettbewerber fokussiert zu sein. Das merke ich oft bei Wettbewerbsanalysen. Da kommen die Klassiker: Die Volksbank hat die örtliche Sparkasse im Blick, für die Commerzbank ist der Konkurrent die Deutsche Bank. Da ist man schon noch stark fixiert. Banker sind über viele Jahre anders sozialisiert worden, sie sind auch in den Führungsetagen nicht so technikaffin, dass sie die Bedrohungen jederzeit einschätzen könnten. Schon die Analyse fällt oft schwer. Die Fintech-Unternehmen, also Start-ups mit innovativen, technologischen Lösungen, klemmen sich geschickt mit Lösungen zwischen den Kunden und die Bank. Sie haben einen anderen Blick. Sie schauen auf den Kunden und fragen als Allererstes: Wie kann ich es ihm so leicht und bequem wie möglich machen? Banken in der Vergangenheit mussten das nicht tun. Sie sind immer noch sehr introvertiert und wollen etwa aus Kostengründen Prozesse auf den Kunden verlagern.

Wie gefährlich sind die Startups aus dem Bereich der Finanztechnologie, die sogenannten Fintechs?

Die Fintechs bilden nur ein kleines Segment ab. Sie sind oft eigenständig gar nicht überlebensfähig. Sie ernähren sich bei Zahlungsverkehrslösungen sozusagen von der Bank und schalten ihre eigenen Plattformen einfach darüber. Sie verknüpfen etwa Kunden, welche Kredite nachfragen, mit den Anbietern. Sie können aber selbst diese Leistungen gar nicht erbringen. Das ist wie die Mistel oben am Baum, die sich letztlich von ihm ernährt.

Fintechs müssen einen Partner finden, um gefährlich zu werden

Das heißt, die Fintechs müssen von anderen geschluckt werden, um groß zu werden?

Das wird bei vielen der Fall sein. Die ersten scheiden auch schon wieder aus, das bekommt man nur nicht so mit. Man redet lieber über die Erfolge. Die Banken klagen, dass die Fintechs nicht so reguliert seien. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis dies der Fall sein wird. Wenn die Anwendung neu ist, kommt der Gesetzgeber erst mal nicht hinterher. Aber die Regulierer reagieren und schauen sich die Risiken neuer Modelle im Hinblick auf den Verbraucherschutz genau an.

Welche Chancen hat der Fintech-Standort Baden-Württemberg?

Eine Wüste ist es nicht. Aber die Musik spielt in Berlin. Vor allen Dingen spricht man bei den Schwaben wenig über solche Projekte. Gerade für kleinere Banken ist die Kooperation mit Fintechs nicht einfach. Durch die zentralisierte Struktur der Rechenzentren im genossenschaftlichen Bereich und der Sparkassen hat man als einzelne Bank eingeschränkte Möglichkeiten. Wenn aber die zentralen Rechenzentren tangiert werden, sind die Entscheidungsstrukturen komplex. Da muss oft der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden.

Woher kommen die Angreifer?

Die akute Bedrohung sind nicht die kleinen Fintechs, sondern große Spieler aus dem IT-Bereich, die den Markt aufrollen wollen. Da steckt eine enorme finanzielle Kraft, eine riesige Marktmacht und ein vielfältiger Kundenzugang dahinter, wie es selbst eine Bank, die in ganz Deutschland tätig ist, nicht haben kann. Apple, Amazon, Ebay – die haben das. Die deutschen Banken haben mit Paydirekt versucht ein Gegenangebot zu Paypal zu etablieren, allerdings sehr spät. Einen etablierten Marktführer anzugreifen und dazu einen echten Mehrwert zu bieten, ist schwierig. Warum soll ein Kunde Paydirekt nutzen, wenn er bei Paypal ein Konto hat?

Kann man mit der dezentralen Struktur der deutschen Bankenlandschaft überhaupt das notwendige Tempo erreichen?

Da muss man auf die Anpassungsfähigkeit von Menschen vertrauen. Es ist ja etwa im Genossenschaftsbereich schon weitgehend gelungen, die Vielfalt der Internetauftritte zu harmonisieren und das Informationsmedium zum Verkaufsmedium zu machen. Aber Innovation kommt auch von der Basis: Ein gutes Beispiel ist etwa die Volksbank Bühl in Baden, eine Genossenschaftsbank mittlerer Größe. Da gab es einen Mitarbeiter, der eine hohe Affinität zum Thema Digitalisierung hatte. Und ihm wurde der nötige Freiraum gegeben. Diese Bank bespielt alle sozialen Medien, um mit den Kunden zu kommunizieren und als Marke wahrgenommen zu werden. Es gibt eine Innovationswerkstatt, um intern Ideen zu entwickeln. Ich habe vom Begriff Evolution gesprochen: Die kommt häufig von unten. Erst kommen die Schnellboote, dann die Tanker.

Welche Rolle spielt die Größe einer betroffenen Bank oder ihr Umfeld?

Viel hängt an Personen. Die Generation, die einen patriarchalischen Führungsstil gepflegt hat, wird allmählich abgelöst. Andere Führungspersönlichkeiten rücken auf. Man sieht immer noch extreme Unterschiede, die nichts mit der Größe zu tun haben. Ich habe da etwa eine sehr kleine Bank im Blick, bei der ich einen Mitarbeiter angetroffen habe, der sich in der digitalen Welt exzellent auskannte. Das hätte ich dort nie erwartet. Der konnte aber genau in dieser kleineren Bank seine Fähigkeiten entwickeln, weil es dort keine solche Spezialisierung gibt. In einer großen Bank wäre er ein ganz kleines Rad gewesen – dort konnte er alles vernetzen. Aber es gibt auch Banken, da steht die Digitalisierung ganz am Anfang: Da sind noch nicht einmal die Kontaktdaten der Neukunden erfasst: keine Mobilnummer, keine E-Mail. Da muss man bei der Digitalisierung ganz klein anfangen. Das ist öfter der Fall, als man glaubt.

Banken müssen lernen, Risiken einzugehen

Wie können Banken genauso innovativ werden wie die großen Spieler im Internet?

Am besten wäre ein duales Betriebssystem, also ein System mit zwei Geschwindigkeiten. Im Bereich Digitalisierung muss eine Bank schnell sein, da müssen Fehler erlaubt sein. Banken sind aber traditionell auf absolute Fehlervermeidung gedrillt. Es stimmt: Das Kerngeschäft der Bank muss weiter funktionieren. Da braucht es Struktur und Hierarchie. Die Banken verwalten unter hoher Verantwortung fremdes Geld. Dort hat Schnelligkeit keinen Platz. Ein anderer Teil der Bank muss aber eher wie ein Softwareunternehmen agieren. Es geht um einen Verbund von beidem.

Aber schaffen die Banken den Schritt zur Fehlerkultur? Wenn etwas schiefgeht, will es doch in der Hierarchie keiner gewesen sein.

Das gilt nicht nur für Banken. Kleinere und mittlere Firmen haben in Deutschland generell noch relativ wenige Erfahrungen mit Innovationsmanagement. Da gilt es Meilensteine zu setzen, an denen man in einem Innovationsprozess auch etwas kippen kann. Man muss auch die Kunden frühzeitig einbinden, bevor man jahrelang etwas entwickelt und die dann sagen: Was soll ich damit? Die Voraussetzungen dafür gibt es oft noch nicht. Das gilt aber für alle etablierten Unternehmen – von der Industrie bis zu den Banken.

Wie sehen die Banken in fünf Jahren aus?‘

Einfache Dienstleistungen wie die Kontoeröffnung werden vollständig digitalisiert sein. Bei der Beratung wird die Technik eine dienende Funktion haben. Der Kunde kann sich im Voraus informieren, vergleichbar mit dem Konfigurator beim Automobil. Auch Videoberatung wird gang und gäbe sein. Das ist übrigens ein gutes Beispiel für eine Technik, die es schon lange gibt und die sich dennoch erst durchsetzen muss. Die Kunden müssen darin eine Zeitersparnis sehen. Früher hat man die verschiedenen Kommunikationskanäle eher als Silos gesehen, künftig werden sie vom Telefon über den Online-Zugang bis hin zur mobilen App absolut durchgängig sein. Regionalbanken werden in Deutschland weiter eine wichtige Säule sein, auch wenn man in der EU das deutsche System nicht richtig zu begreifen scheint. Sie haben den Vorteil der regionalen Verankerung. Am Ende werden nämlich Geschäfte immer noch zwischen Menschen gemacht. Man will einem Menschen in die Augen schauen und sehen, dass er nickt. Am Ende ist es eine Vertrauensfrage – und so ist der Mensch immer noch geprägt.

ZUR PERSON

Ralf Rieger ist Seniorberater für Bankvertrieb bei der GGB Unternehmensberatung GmbH mit Sitz in Stuttgart-Degerloch. Das Unternehmen berät seit mehr als 30 Jahren Genossenschaftsbanken in allen Themen des Bankgeschäfts. Derzeit beschäftigt er sich zusammen mit den Regionalbanken sehr intensiv mit dem digitalen Wandel im Finanzbereich. Der diplomierte Bankbetriebswirt verfügt durch seine beruflichen Stationen in Regionalbanken und Beratungsgesellschaften unterschiedlicher Größenordnung über langjährige Erfahrungen im Bankgeschäft. Sein Schwerpunkt lag für geraume Zeit im Firmenkundengeschäft von Banken insbesondere mit Unternehmen aus dem Mittelstand. Nicht zuletzt deshalb ist er ein Verfechter mittelständischer Strukturen sowohl bei Banken als auch bei Unternehmen – für ihn der Schlüssel zum Erfolg der deutschen Wirtschaft.