Wer an Startups in Deutschland denkt, der hat dynamische junge Leute vor Augen oder ehrgeizige Angestellte, die mit Mitte dreißig oder Anfang vierzig ihre ersten Berufserfahrungen zur Gründung einer Firma nutzen. Aber Gründen mit 58 Jahren? Helmut Mahler von der Ulmer IT-Sicherheitsfirma Code White zeigt, dass das geht.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Ulm - Helmut Mahler ist trotz seiner grauen Haare unübersehbar jung geblieben. Dennoch ist sein Weg zum eigenen Unternehmen für Deutschland ungewöhnlich. Senior-Berater und Investoren, die im gesetzteren Alter sich bei jungen Unternehmen engagieren, gibt es zuhauf. Aber in einem Alter, in dem andere schon an den Ruhestand denken, noch selbst ein eigenes Startup anzupacken und ein wirtschaftliches Risiko einzugehen, das gibt es nicht so oft. Dabei ist die Kombination aus einem erfahrenen Senior-Gründer und einem jungen Team, aus Mahlers Sicht optimal: „Wenn sie sich umschauen, sind solche Konstellationen überdurchschnittlich erfolgreich.“ Zweieinhalb Jahrzehnte war er für das IT-Management bei einem Autohersteller zuständig. Eine höchst verantwortungsvolle und – wie man annehmen kann – gut bezahlte Position. Und dennoch hatte Helmut Mahler das Gefühl, dass eines seiner Talente dort keine Chance hatte. „Ich bin eigentlich der geborene Vertriebler“, sagt er: „Aber wenn sie einmal der IT-Mensch sind, kommen sie aus dieser Ecke nie mehr heraus.“ Der studierte Elektroingenieur war auf eher diagonalen Weg beim Thema IT gelandet. Nach dem Studium war er zunächst in der Chipentwicklung für ein großes, internationales IT-Unternehmen tätig. Dann landete er bei dem Autohersteller und wuchs dort in das Thema IT-Management hinein. Er sei nie ein Experte für Computertechnologie oder Programmierer gewesen, sondern derjenige mit dem Blick für die Zusammenhänge, sagt Helmut Mahler.

 

Vor zwei Jahren beschloss er, noch einmal ganz neu anzufangen. Er ging in den vorzeitigen Ruhestand, aber nicht, um wie mancher Altersgenosse das Golfspielen zu perfektionieren, sondern um eine Idee umzusetzen, die in seiner Zeit als Manager gereift war. Wenige Monate später gründete er das IT-Sicherheitsunternehmen Code White. Jahrelange Erfahrung von innen hatte ihn gelehrt, wo die Schwächen moderner IT-Sicherheitsarchitektur liegen: „Wir bauen immer höhere Zäune – und übersehen, dass sich die Hacker darunter durchgraben.“ Die Geschäftsidee von Code White ist es, Hackerangriffe vollkommen realistisch zu simulieren. „Ich rede dafür nicht mit dem IT-Menschen in der Firma, sondern direkt mit dem Chef oder dem Finanzvorstand“. Der muss dann nichts anderes tun als Code White die Erlaubnis zur Attacke zu geben. „Wir brauchen Null Informationen über die IT. Wir googeln, genauso wie ein Hacker, einfach nach den Firmeninformationen und fangen dann an, nach Schwachstellen zu suchen.“ Nach einigen Wochen erhält der Kunde dann einen Report darüber, wo die offenen Flanken liegen – und wenn er will, kann er Code White damit beauftragen, permanent nach Einfallstoren zu suchen. Im Gegensatz zu den von vielen IT-Dienstleistern angebotenen Ansatz, die beispielsweise einzelne Softwarepakete testen, verfolgt Code White eine umfassende Strategie – bis hin zum Versuch, über soziale Netzwerke an Informationen zu kommen, bei denen sich beispielsweise Mitarbeiter unabsichtlich verplappern.

Helmut Mahler ist beim Gründen mit jungen Leuten zusammen, die ganz anders ticken als er

Und so arbeitet der seriöse Ex-Manager in seiner Firma mit Hackern zusammen, die sich am Ulmer Standort als Büroausstattung erst einmal ein paar Lümmelkissen besorgt haben und denen der Dienstwagen weniger wichtig ist als das Essen beim Edelitaliener. „Ich habe schon ein wenig mit den Augen gerollt, als die mir sagten, dass ihnen der Chinese direkt gegenüber von unserem Büro nicht gut genug ist“, sagt Mahler lachend. Gute Hacker haben im übrigen nicht nur hohe Ansprüche an die Unternehmenskultur. Wer in der Szene einen Namen hat, ist richtig teuer. Die Gehälter können hier durchaus im fünfstelligen Bereich landen. Folgerichtig will sich Code White als Premiumanbieter für Firmen positionieren, für welche eine funktionierende IT und der Schutz vor Industriespionage das absolute Rückgrat ihres Geschäfts ist. Eine Marktlücke sieht Mahler hier insbesondere bei Mittelständlern. Um mit seiner Firma durchzustarten, gewann er zwei junge Kollegen aus seiner ehemaligen Firma für das Projekt. Während diese etwa für den Einsatz und die Koordination des IT-Teams zuständig sind, ist Mahler das Gesicht nach außen. Dank seiner langjährigen Arbeit in dem Bereich ist er gut vernetzt. „Ein junger Gründer käme bei den Vorständen nie durch die Tür“, sagt Mahler. Man kann sich gut vorstellen, wie sonst eine Firma auf die Anfrage reagieren würde, doch einmal ein Team von Angreifern sich in der IT austoben zu lassen – zumal im Sinne einer realistischen Simulation die firmeneigenen IT-Verantwortlichen nicht darüber informiert werden sollen.

Beim Thema Sicherheit bürgt der erfahrende Ex-Manager für Vertrauen

Mahlers Namen und Berufserfahrung ist für die Vertrauensbasis unabdingbar. Doch auch er war dazu bereit, radikal umzudenken. „Fehlende Risikobereitschaft“, fällt auch ihm als erstes Stichwort auf die Frage ein, warum so wenige aus seiner Generation noch den Schritt hin zum eigenen Unternehmen gehen. Doch im weiteren Gespräch wird klar, was noch dazugehört: Man muss loslassen können, außerhalb von gewachsenen Strukturen denken, sein Statusdenken außen vorlassen, teamfähig sein und den Mitarbeiter Freiräume schaffen – alles Dinge, die in traditionellen deutschen Unternehmenskulturen manchmal zu wenig gepflegt werden. Diesen Rollenwandel hat Mahler sehr unmittelbar erlebt. Das Geringste war es noch, die traditionellen Annehmlichkeiten des Managerdaseins hinter sich zu lassen: „Ich habe keine Sekretärin mehr. Und auf Dienstreisen bin ich halt nicht mehr in einem Viersterne-Hotel, sondern im Raucherzimmer eines Bed-and-Breakfast“. Schwieriger war es schon, denselben Mitarbeitern, für die man vor wenigen Wochen noch der Chef war, nun als Ko-Eigentümer auf Augenhöhe gegenüberzustehen. Mahler machte nämlich die beiden deutlich jüngeren Leute aus seiner früheren Firma ebenfalls zu Anteilseignern. Er nennt sich deshalb Managing Partner und nicht Geschäftsführer. „Das war schon ein Schritt für mich, auf die hundertprozentige Kontrolle zu verzichten“, sagt er. In der Lebenssituation seiner jungen Gründer-Partner sei der Schritt in die Selbstständigkeit aber ein riskanterer Sprung gewesen als für ihn selbst, sagt er. Er selbst sei bei seinem Kapitaleinsatz kein existenzielles Risiko eingegangen. Wenn die Sache schiefgehe, dann reiche es ihm immer noch zum Leben. Externe Investoren sind nur zu zehn Prozent beteiligt, sodass die unternehmerische Freiheit voll gewährleistet ist.

„Ich habe meinen Schritt, noch keinen Tag bereut“, sagt Mahler. Er würde sich wünschen, dass mehr junge Gründer in Deutschland die Chance bekämen, sich mit erfahrenen Menschen wie ihm zusammenzuspannen, die die nicht nur von der Seitenlinie als Berater oder Investor mitmachen, sondern selber mittendrin stehen und anpacken. Unschätzbar sei beispielsweise seine Erfahrung, die er über viele Jahre mit Vertragsabschlüssen und rechtlichen Fragen gesammelt habe. Das sei für viele Startups, die sich keine teuren Rechtsanwälte leisten könnten, eine schwer zu überwindende Hürde: „Vor kurzem war ich Berlin und habe ein junges Startup erlebt. Die haben mir fast Leid getan. Sie hatten eine fantastische Idee, aber kein Geld – und niemanden, der ihnen bei diesen Fragen unter die Arme greift.“

Ein ausführliches Porträt von Helmut Mahler und seiner IT-Sicherheitsfirma Code White erscheint am 17. November in der Wirtschaftszeitung Baden-Württemberg der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten.