Juristen verzweifelt gesucht: Alexander Deicke vermittelt Interimslösungen im Management – und plant dazu eine digitale Personalvermittlung mit künstlicher Intelligenz. Inspirieren ließ er sich an der Universität Cambridge.

Reutlingen - Mit Träumen beginnt die Realität. Schnelle und passgenaue Personalsuche ohne menschliche Schwächen, das ist die Vision, die den Reutlinger Alexander Deicke umtreibt. Inzwischen gibt es nämlich Algorithmen und digitale Technologien, die das greifbar machen. „In der Art und Weise, wie ich es anbiete, gibt’s das noch nicht“, sagt Deicke über seine geplante digitale Personalvermittlung. „Es ist recht simpel: Ich will mit meiner Online-Plattform im Prinzip nichts anderes machen, als was ich jetzt in der analogen Welt tue.“

 

Noch ist das Ganze ein Konzept – doch es soll bald an den Start. Deicke räumt besondere Anforderungen an sein digitales Geschäft ein: „Bei meiner Geschäftsidee ist eine Datenbank essenziell. Gleichzeitig habe ich einen hohen Bedarf an IT und Plattform-Know-how.“Aber dazu gehört auch das fachliche Wissen, was bei solchen Vermittlungen zählt: „Die Qualität des Verfahrens und damit der Kandidaten muss stimmen; die richtigen Kandidaten müssen sehr kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können.“

AI macht digitale Personalvermittlung effizienter

Aber eine Plattform, bei der Künstliche Intelligenz (AI) via Algorithmen in einem ersten Schritt die Übereinstimmung zwischen Unternehmen und Kandidaten beurteilt, kann seiner Meinung nach zu enormen Effizienzsteigerungen führen, So naheliegend die Idee, so wenig war sie auf dem Markt. Kein Wunder also, dass sie Deicke nicht mehr losließ. Nach über neun Jahren in ständigem Kontakt mit Headhuntern und anderen Personalvermittlern war dem Entrepreneur klar, dass sich im gesamten Bereich Personalbeschaffung, neudeutsch Recruiting, in den letzten Jahren nicht wirklich Wesentliches geändert hat.

Mit seiner Geschäftsidee will er speziell im Bereich Recht die Personalvermittlung umkrempeln. Grundlage dafür ist eine hochwertige Datenbank – die Deicke dank seiner langen Erfahrungen auf dem Sektor der Interimsvermittlungen bestücken kann. Und damit ist er potenziellen Konkurrenten voraus. Juristen als Gründer? Das passt in Deutschland bisher nicht zum Startup-Image.

Startup-Inspiration von der Uni Cambridge

Zur besseren Umsetzung seiner Idee entschloss er sich zu einem Zusatzstudium neben dem Job. Cambridge habe er sich ausgesucht, weil die Engländer sehr viel offener seien für moderne, digitale Werkzeuge im Bereich der Personalrekrutierung. Darüber hinaus ist Cambridge sehr technikaffin – was für die oft als angestaubt betrachtete Rechtsanwalts-Profession noch ungewöhnlich ist.

Deicke hat als einer von einer Handvoll Postgraduierten sein Fernstudium an der Cambridge Judge Business School absolviert. Zum Doktortitel in Jurisprudenz – passenderweise mit dem Thema „Legal Interim Management“ – und zwei Masterabschlüssen kommt noch ein Postgraduiertendiplom in Entrepreneurship hinzu.

Nische mit Wachstumspotenzial

Parallel dazu erarbeitete er das Konzept für sein Startup, mit dem er „eine äußerst erfolgversprechende und lukrative Nische mit gewaltigem Wachstumspotenzial“ besetzen will. Das sagten ihm seine jahrelange Erfahrung sowie seine Recherchen. In Kürze geht er online. Davor wird die Marketingmaschinerie angeworfen. „K11 Legal Matching“ ist der Name der Plattform. Ohne die Werkzeuge fürs Unternehmertum, die ihm in Cambridge vermittelt wurden, wäre das nicht möglich gewesen.

Es gehe dort an der Hochschule schlicht darum, Lösungen zu finden, gute Ideen in der Gruppe auszutüfteln und zur Reife zu bringen, sagt er. Zudem legt Cambridge Wert auf das Zusammenfinden von Teams, denn der konstruktive Zusammenhalt ist bei Gründern sehr wichtig. „Wir agieren quasi als eine große Familie, die viele Firmen gründen will und sich virtuell austauscht“, sagt Deicke. Dafür gibt es neben dem Präsenzstudium eine virtuelle Lernplattform.

Blick über den Tellerrand

Die Judge Business School schafft damit die Möglichkeit für gemeinsames interaktives Arbeiten etwa durch Foren oder Videos. So bleiben auch die Studenten über den ganzen Globus vernetzt. Es heißt über den Tellerrand schauen, agile Herangehensweisen an Probleme entwickeln, über das Studium hinaus Kontakt halten und sich austauschen – und mit etwas Glück über die regelmäßigen Pitch-Veranstaltungen, auf denen die Geschäftsideen präsentiert werden, auch einen potenziellen Investor finden.

Einige Gründungen unterstützt auch der lokale Startup-Accelerator der Universität. „Wir gehen davon aus, dass etwa 40 Prozent unserer Alumni ihr Geld in erster Linie damit verdienen, ein Geschäft zu betreiben, das ihnen gehört. Vermutlich ein Viertel baut ein Unternehmen von erheblicher Größe auf“, sagt Chris Coleridge, der Leiter des Programms.

Feinschliff auf der Plattform

Für Deickes digitale Personalvermittlung geht es zurzeit noch um den letzten Feinschliff. Der Schwabe sprüht voller Ideen. Zum Beispiel, ob er die Nutzer seiner Website auf der Eingabemaske mit dem Abbild eines Dinosauriers und dem Spruch „Beim Recruiting schon im Heute angekommen?“ wachrütteln soll. In einem ersten Schritt sollen nur harte Faktoren bewertet und zusammengebracht werden. Das persönliche Vorstellungsgespräch wird also vorerst nicht ersetzt. Dann soll ein Persönlichkeitstest hinzukommen. „Kandidaten sollen ihre Profile einpflegen und meine Aufgabe besteht dann darin, die Qualität der eingegebenen Daten sicherzustellen sowie die Firmen zu unterstützen, wenn sie ihren Bedarf auf der Plattform eingeben.“Die Künstliche Intelligenz, nicht der Mensch, soll das Matching automatisch durchführen, ohne dass noch mal händisch nachgefasst wird.

Deicke hält die Neutralität eines Computers dem Menschen für überlegen. So werde es möglich, Diversität bei der Personalgewinnung zu leben und nicht nur zu proklamieren. Künstliche Intelligenz sei nicht schlauer als der Mensch, „nur verdammt schnell und nicht subjektiv voreingenommen“. Künstliche Intelligenz kann mehr als nur Daten abgleichen, sondern sie auch interpretieren. Personalvermittlern fehlt oft das Fachwissen der Branche, wohingegen die Künstliche Intelligenz nur einmal fit gemacht werden müsse, um die Branchenanforderungen zu kennen. Wer finanziert das Ganze? Deicke hofft, dass er es erst einmal selbst stemmen kann. Seine Selbstständigkeit als Unternehmer ist ihm wichtig. Den nötigen Kampfgeist und das nötige Selbstbewusstsein hat er.

Digitale Personalvermittlung – ein heiß umkämpfter Markt

Smart, agil und vernetzt sein wollen alle. Doch modernisiert sich Deutschland nun auch in Sachen Personalvermittlung? Auch solche digitale Werkzeuge werden dazugehören, wenn man die Position als modernster Industriestandort der Welt erreichen will. Dazu braucht es nicht zuletzt sehr viele Spezialisten und Fachkräfte. Genau die sind aber in vielen Bereichen Mangelware – gerade auch Juristen mit Spezialwissen. Es sind nämlich längst nicht mehr allein Ingenieure, die händeringend gesucht werden.

Was viele Jahre ein Arbeitgebermarkt im Segment Jura war, hat sich komplett zum Arbeitnehmermarkt gedreht. Hinzu kommt, dass in den Unternehmen die Rechtsabteilungen unaufhörlich wachsen wegen zusätzlicher Themen, die sie abzudecken haben. Die Internationalisierung der Industrie tut ein Übriges. Juristen, die auf diese Fragen spezialisiert sind, können sich aussuchen, wo sie arbeiten, und hohe Gehälter für eine Festanstellung fordern.

Es liegt somit auf der Hand, dass nicht nur Alexander Deicke sich mit seinem Unternehmen K11 intensiv mit einem Konzept beschäftigt, in dem schnelle und präzise Algorithmen die endlosen Gespräche mit Headhuntern und die Vielzahl an Bewerbungsunterlagen ersetzen sollen. Eine ähnliche Personalvermittlung wie Deicke betreibt zum Beispiel Axiom aus den USA, aber immer noch analog, also mit dem händischen Pflegen einer Datenbank über Excel-Listen und ähnliche Programme, und ohne computergesteuerte Auswahl der Kandidaten und automatisches Matching. Anders das niederländische Medienhaus Wolters Kluwer mit seinem Startup Online-Portal „Legal Tribune Online“. LTO hat sich in den letzten Jahren im Internet als ein Medium etabliert, das allgemein über den Arbeitsmarkt im Bereich Recht und juristische Themen informiert. Auf LTO gibt es zusätzlich ein Personalvermittlungswerkzeug für dauerhafte Beschäftigung. Es ist Personalsuche im klassischen Sinn. Über Matching, wie dies Deicke betreibt, denkt aber auch LTO nach. „Wir haben miteinander gesprochen, ob sie vielleicht doch das Thema Interim aufnehmen“, sagt Deicke.

Auch der Zeitarbeitsgigant Manpower überlegt sich, digital aktiv zu werden. Die Berliner Comatech wiederum betreibt eine Plattform für Managementberater, nicht aber für den Bereich juristische Berufe. Ein Gründer aus Mannheim im Jura-Segment, Christoph Zoeller, will seine Plattform „Premium Moderator“ ausschließlich zur Festvermittlung nutzen. Neu im Markt ist auch Legalhead als Teil einer Personalvermittlung, die ganz viele Berufssparten aufbauen will, nicht nur Jura.